Anna, die Schule und der liebe Gott
Eroberern stets ein Dorn im Auge. Im 16. Jahrhundert schließlich ließ man die Säulen und Bögen in der Mitte der Mezquita abreißen und setzte eine große christliche Kirche im halb gotischen, halb Renaissance-Stil mitten hinein. Als Kaiser Karl V. das Architektur-Desaster sah, erging es ihm, der Legende nach, ähnlich wie dem heutigen Besucher: » Ihr habt « , soll der Kaiser gesagt haben, » etwas erbaut, was es andernorts schon gibt, und dafür habt ihr etwas zerstört, was einmalig in der Welt war. «
Auch wenn das konventionelle Schulsystem keine zauberhafte Moschee ist, sondern eher ein schmuckloser Funktionsbau, und auch wenn die neue Schule ein Schmuckstück werden soll – die Lehre, die man aus dem Umbau der Mezquita ziehen kann, lautet: Es gibt Dinge, die kann man nicht integrieren, ohne dass man es am Ende keinem recht macht. Manche Umbauten lassen sich nicht halb oder zu einem Viertel durchführen. Ein Computerraum in der Schule ermöglicht noch kein Mastery Learning, ein Fach » Lernen lernen « verändert nicht das Lernen, ein paar zusätzliche Projekte ergeben noch keinen projektbezogenen Unterricht; ein Selbsteinschätzungsbogen bei gleichzeitig unverändertem Benotungssystem erzeugt noch keine intrinsische Motivation; ein bisschen Gruppenarbeit im Jahrgangsklassenzimmer führt nicht dazu, dass ein Kind teamfähig wird; ein paar neue Sport- AG s lassen das Lernen in der Schule nicht » körperlicher « werden usw. All das muss man ganz machen, sonst knirscht es im Gebälk. Ein Umbau von der erforderlichen Größenordnung ist auch keine rein technische Herausforderung; er verlangt einen Geist auf der Grundlage von klaren Prinzipien.
Seit Maria Montessoris Vorstellung vom Kind als » Baumeister seines Selbst « ist es eine kluge Einsicht, Kinder nicht mehr » belehren zu wollen « , sondern ihnen zu helfen, sich etwas beizubringen. Dafür gilt als erstes Gebot, die intrinsische Motivation des Kindes nicht zu zerstören, sondern sie zu pflegen. Eine gute Pflege besteht dabei gewiss nicht darin, Kinder mit Angeboten zuzuballern, wie manche Eltern dies heute tun, sondern unter anderem im rechtzeitigen Rückzug der Lernbegleiter. Kinder müssen sich auch langweilen dürfen, allerdings nicht gerade deshalb, weil man sie mit schlechtem Unterricht traktiert. Dabei unterstützend tätig zu werden, das Potenzial eines Kindes zu entfalten, heißt weder, es überfordernd allein zu lassen, noch es an jeder erdenklichen Stelle zu sichten, es hervorzuzerren und zu vernutzen. Die intrinsische Motivation ist eine sensible Pflanze. Sie stirbt, wenn man sie nicht mit Anregungen gießt, aber man kann sie auch leicht überdüngen und ertränken.
Das zweite Prinzip besteht darin, ein Kind individuell lernen zu lassen. Was Washburne unter Mastery Learning verstand und was Bildungs-Entrepreneure wie Khan zu phantastischer Lernsoftware entwickelt haben, ist nichts anderes als die moderne Form einer alten Forderung, nämlich sich nach den Bedürfnissen, den Begabungen und dem Lerntempo eines jungen Menschen zu richten und ihn dazu zu befähigen, dieses Tempo selbst zu steuern. Ob man dazu wie früher in einer Bibliothek stöbert und von Buch zu Buch wandert oder sich heute in den digitalen Labyrinthen des Internets vorwärtsforscht, ist in der Sache letztlich das Gleiche. Nur dass es heute weniger sinnlich, dafür aber erheblich einfacher und schneller geworden ist. Wer auf diese Weise seine Neugier befriedigt und spielerisch lernt, erlebt die Freude der Selbstständigkeit und entwickelt fortschreitend Selbstvertrauen. Und was unter diesen psychologischen Umständen gelernt wird, hat weit bessere Chancen, für das Leben erhalten zu bleiben, als vieles Lernen im standardisierten Klassenzimmerunterricht. Wenn der Lehrer dazu als Coach Hilfestellungen leistet und allzu viele verlockende Ablenkungen unterbindet, ist einem optimalen aufbauenden Lernen in einigen Wissensgebieten keine Grenze gesetzt. Desgleichen gilt für die wechselseitige Hilfe und das Anspornen durch jahrgangsübergreifende Mitschüler.
Das dritte Prinzip bedeutet, die Welt des Wissens nicht einfach als Stoff oder Fach zu sehen und damit innerhalb eines beengten Rahmens zu lernen. Den » Stoff « , so meinte einmal Reinhard Kahl, » solle man besser den Dealern überlassen « . Statt um den Stoff geht es um das Verstehen von Sinn und Sinnlichkeit der Dinge und der Zusammenhänge dieser Welt. Vieles lernt sich einfacher und lieber und wird auch besser
Weitere Kostenlose Bücher