Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)
Es ist gespenstisch, etwas zu beobachten, das Lärm machen sollte, während man nicht einmal ein Flüstern vernimmt. Verblüfft starrt er seinen verletzten Arm an. Die Hand hängt nur noch an einem dünnen Hautstreifen, aber es ist kein Blut zu sehen. Als er sie sich ganz abreißt, löst sie sich in Rauch auf, in schmierige,
giftige Rauchfäden. Ich muss die anderen wohl nicht eigens darauf hinweisen, nicht einzuatmen.
»Wie, das war’s schon?«, fragt Will voller Panik. »Ich dachte, das Messer sollte das Ding töten!«
»Es ist kein Ding«, erwidere ich gleichmütig. »Es ist ein Mann. Genauer gesagt, es sind zwei Männer, und sie sind schon tot. Dies hier schickt sie dorthin, wo sie hingehören.«
Der Geist geht auf mich los, seine Aufmerksamkeit ist jetzt auf mich gerichtet. Ich ducke mich und weiche so gewandt und schnell aus, dass mir seine Hiebe nicht einmal nahe kommen. Ich schneide noch ein Stück seines Arms ab, als ich unter einem Schlag wegtauche, und der Rauch tanzt und löst sich in der Luft auf, die meine Manöver in Bewegung gebracht haben.
»Jeder Geist ist anders«, erkläre ich ihnen. »Manche sterben noch einmal, als glaubten sie, sie seien noch am Leben.« Geduckt entziehe ich mich einem weiteren Angriff und dresche ihm den Ellenbogen gegen den Kopf. »Andere zerschmelzen zu blutigen Pfützen. Wieder andere explodieren.« Ich blicke zu meinen Freunden, die mir mit großen Augen an den Lippen hängen. »Manche lassen etwas zurück – Asche oder Flecken. Andere tun es nicht.«
»Cas.« Thomas deutet hinter mich, aber ich weiß schon, dass der Geist wieder angreift. Ich weiche aus und schlitze ihm den Brustkorb auf. Er sinkt auf ein Knie.
»Jedes Mal ist es anders«, sage ich. »Nur eins ist immer gleich.« Ich blicke Will scharf an und bin bereit,
das Werk zu vollenden. In diesem Moment packt der Geist meine Fußgelenke und reißt mich um.
Haben Sie das gehört? Er packt mit beiden Händen zu. Dabei weiß ich genau, dass ich ihm eine Hand abgeschnitten habe. Mich streift der Gedanke, dass dies wirklich ein höchst interessantes Phänomen ist, ehe ich mit dem Kopf auf die Pressspanplatte schlage.
Der Geist will mir an die Kehle, ich kann ihn gerade noch abwehren. Nun fällt mir auf, dass eine der Hände anders aussieht. Sie ist eine Spur stärker gebräunt und hat eine ganz andere Form. Die Finger sind länger, die Nägel rissig. Carmel schreit Thomas und Will an, sie sollen mir helfen. Das kann ich allerdings überhaupt nicht gebrauchen, denn das würde der ganzen Sache die Pointe nehmen.
Dennoch wünsche ich mir, ich hätte Wills Sportlerfigur, als ich mich mit zusammengebissenen Zähnen abrolle und versuche, dem Kerl den Dolch in den Hals zu jagen. Ich bin schlank und deshalb beweglich und schnell, und außerdem ziemlich drahtig, aber im Nahkampf wäre es hilfreich, wenn ich den Gegner durch den Raum schleudern könnte.
»Ich brauche keine Hilfe«, sage ich zu Carmel. »Ich überlege nur, wie ich ihn packen kann.« Es klingt nicht sehr überzeugend, eher wie ein angestrengtes Stöhnen. Sie starren mich mit weit aufgerissenen Augen an. Will macht einen ungelenken Schritt in meine Richtung.
»Bleib zurück!«, rufe ich und trete meinem Gegner zugleich in den Bauch. »Es ist nur etwas anstrengender als sonst. In ihm stecken gleich zwei Männer, kapiert?«
Mein Atem geht schwer. Schweiß läuft mir in die Haare. »Keine große Sache … Ich muss eben nur alles doppelt machen.«
Wenigstens hoffe ich das. Es ist das Einzige, was mir in dieser Situation einfällt, und es läuft nun auf ein verzweifeltes Hauen und Stechen hinaus. Das hatte ich nicht im Sinn, als ich vorschlug, auf die Jagd zu gehen. Wo sind all die netten, einfachen Geisterchen, wenn man sie braucht?
Ich sammle mich und trete fest zu, um den Cop und den Bahnarbeiter von mir herunterzuwerfen. Dann rappele ich mich auf, packe den Athame und konzentriere mich. Er will schon wieder angreifen, und als er dazu ansetzt, beginne ich zu schneiden und zu häckseln wie eine Küchenmaschine. Ich kann nur hoffen, dass es cooler aussieht, als es mir vorkommt. Meine Haare und die Kleidung bewegen sich in einem Wind, den ich nicht spüren kann. Schwarzer Rauch wallt von unten empor.
Kurz bevor ich fertig bin – bevor ich mit ihm fertig bin –, höre ich zwei verschiedene Stimmen, die einander in einem düsteren Zweiklang überlagern. Beim Stechen und Schneiden blicke ich abwechselnd in zwei Gesichter, die ein und denselben Raum
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