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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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nur auf das Gespräch mit der Fürstin, sondern auch auf die eigentliche Ursache von Ljewins Aufregung an, die er recht wohl bemerkt hatte. »Aber wie spät du heute kommst, Dolly!«
     
    Alle standen auf, um Darja Alexandrowna zu begrüßen. Wasenka erhob sich nur für einen Augenblick von seinem Platze, machte mit jenem Mangel an Höflichkeit, wie er neuerdings jungen Männern etwas älteren verheirateten Damen gegenüber eigen zu sein pflegt, eine flüchtige Verbeugung und setzte dann sein Gespräch mit Kitty fort, wobei er über irgend etwas laut lachte.
     
    »Mascha hat mich rein zur Verzweiflung gebracht. Sie hat schlecht geschlafen und ist heute furchtbar unartig«, sagte Dolly.
     
    Das Gespräch, das Wasenka mit Kitty angeknüpft hatte, drehte sich wieder um denselben Gegenstand wie am Abend vor der Jagdpartie, nämlich um Anna und um die Frage, ob man die Liebe über die gesellschaftliche Ordnung stellen dürfe. Kitty war dieses Gespräch unangenehm; es versetzte sie in Unruhe sowohl durch seinen Inhalt an sich wie auch durch den Ton, in dem es geführt wurde, namentlich aber deswegen, weil sie schon wußte, wie das auf ihren Mann wirken werde. Aber einfach und natürlich, wie sie war, verstand sie sich nicht darauf, ein solches Gespräch abzubrechen, ja nicht einmal darauf, die innerliche Befriedigung zu verbergen, die ihr die augenscheinliche Bevorzugung durch diesen jungen Mann gewährte. Sie hatte den Wunsch, das Gespräch zu beendigen, wußte aber nicht, was sie zu diesem Zweck tun sollte. Sie wußte, daß, sie mochte tun was sie wollte, ihr Mann es bemerken und in üblem Sinne auslegen werde. Und wirklich, als sie nun an Dolly die Frage richtete, was denn eigentlich mit Mascha vorgefallen sei, und Wasenka mit gleichgültiger Miene Dolly anblickte und auf die Beendigung dieses für ihn langweiligen Gespräches wartete, da faßte Ljewin diese Frage als eine heuchlerische, abscheuliche List auf.
     
    »Nun, wie ist's? Wollen wir heute ausfahren und Pilze suchen?« fragte Dolly.
     
    »Schön, das wollen wir tun; ich fahre auch mit«, erwiderte Kitty und errötete dabei. Sie wollte höflichkeitshalber Wasenka fragen, ob er auch mitkommen werde, unterdrückte aber die Frage. »Wohin gehst du, Konstantin?« fragte sie mit schuldbewußter Miene ihren Mann, als dieser mit entschlossenem Schritt an ihr vorbeiging. Dieser schuldbewußte Gesichtsausdruck war ihm eine Bestätigung aller seiner Befürchtungen.
     
    »Während ich weg war, ist der Maschinist angekommen, und ich habe ihn noch nicht gesehen«, antwortete er, ohne sie anzublicken.
     
    Er ging hinunter, hatte aber sein Arbeitszimmer, von wo er den dort beschäftigten deutschen Maschinisten abholen wollte, noch nicht verlassen, als er die ihm wohlbekannten Schritte seiner Frau hörte, die mit unvorsichtiger Schnelligkeit zu ihm kam.
     
    »Was willst du?« sagte er trocken zu ihr. »Wir haben zu tun.«
     
    »Entschuldigen Sie«, wandte sie sich an den Maschinisten, »ich möchte gern mit meinem Manne ein paar Worte sprechen.«
     
    Der Deutsche wollte hinausgehen; aber Ljewin sagte zu ihm: »Bleiben Sie nur, lassen Sie sich nicht stören.«
     
    »Der Zug geht um drei?« fragte der Deutsche. »Ich möchte ihn nicht gern verpassen.«
     
    Ljewin gab ihm keine Antwort und ging selbst mit seiner Frau hinaus.
     
    »Nun, was haben Sie mir zu sagen?« fragte er auf französisch.
     
    Er blickte ihr nicht ins Gesicht und wollte nicht sehen, wie sie, bei ihrem Zustande, über das ganze Gesicht zitterte und bebte und ganz jammervoll und unglücklich aussah.
     
    »Ich ... ich wollte sagen, daß wir so nicht weiterleben können, daß das eine Qual ist ...«, murmelte sie.
     
    »Da sind Dienstboten beim Anrichten«, sagte er ärgerlich. »Machen Sie keine Szene.«
     
    »Nun, dann wollen wir dorthin gehen.«
     
    Sie standen in einem Durchgangszimmer. Kitty wollte in das anstoßende Zimmer eintreten; aber dort gab die Engländerin gerade Tanja Unterricht.
     
    »Nun, dann wollen wir in den Garten gehen.«
     
    Im Garten stießen sie auf einen Arbeiter, der den Weg reinigte. Ohne daran zu denken, daß dieser Kittys verweintes und Ljewins aufgeregtes Gesicht bemerken werde, und ohne daran zu denken, daß es aussah, als flüchteten sie von irgendwelchem Unglück fort, gingen sie schnellen Schrittes vorwärts, da sie sich der Notwendigkeit bewußt waren, sich miteinander auszusprechen, einander zu überzeugen, miteinander allein zu sein und sich so von der Qual

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