Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
Ljewin sie mit dem Knie an und flüsterte ihr in großer Aufregung zu: »Faß, brave Laska, faß!«
›Na, wenn er es denn durchaus will, dann werde ich es tun; aber daß ich etwas erreiche, kann ich nicht versichern‹, dachte sie und rannte, so schnell sie nur konnte, vorwärts zwischen die Erdhöcker hinein. Jetzt witterte sie nichts mehr; sie sah und hörte nur, konnte aber nichts erkennen.
Etwa zehn Schritte von dem ursprünglichen Platze erhob sich die Schnepfe mit kräftigem Murksen und mit dem diesen Vögeln eigenen weich, klingenden Flügelschlage. Und gleich nach dem Schusse klatschte sie schwer mit der weißen Brust auf den nassen Moorgrund hinab. Eine zweite Schnepfe flog hinter Ljewin auf, ohne zu warten, bis der Hund sie auftrieb.
Als Ljewin sich nach ihr umwandte, war sie schon weit weg. Aber der Schuß erreichte sie doch noch. Sie flog noch etwa zwanzig Schritte weiter, hob sich dann senkrecht in die Höhe und fiel kopfüber wie ein hochgeschleuderter Ball schwer auf eine trockene Stelle nieder.
›Auf die Art wird es sich schon machen!‹ dachte Ljewin, während er die warmen, fetten Schnepfen in die Jagdtasche steckte. »Na, meine brave Laska, wird es sich machen?«
Als Ljewin seine Flinte wieder geladen hatte und weiterging, war die Sonne, obgleich sie hinter den Wolken noch nicht sichtbar war, doch bereits aufgegangen. Der Mond, der all seinen Glanz verloren hatte, stand wie ein weißes Wölkchen am Himmel; von den Sternen war auch nicht einer mehr zu sehen. Die mit Moos bedeckten Teile des Sumpfes, die vorher vom Tau wie Silber geschimmert hatten, glänzten jetzt wie Gold. Das Moorwasser hatte ganz die Farbe des Bernsteins angenommen. Der bläuliche Farbenton der Sumpfgräser war in ein gelbliches Grün übergegangen. Kleine Sumpfvögel regten sich auf den Sträuchern am Bache, die von Tau glänzten und langen Schatten warfen. Auch ein Habicht war schon wach, saß auf einem Getreideschober, drehte den Kopf von einer Seite nach der anderen und blickte mißvergnügt nach dem Sumpfe hin. Die Dohlen flogen nach dem Felde, und ein barfüßiger Junge trieb schon ein paar Pferde zu einem alten Bauern, der sich unter seinem Rocke aufgerichtet hatte und sich kratzte. Der Pulverdampf von den Schüssen lagerte sich milchweiß über dem grünen Grase.
Einer von den Jungen kam zu Ljewin herangelaufen.
»Onkelchen, gestern waren hier auch Enten!« rief er ihm zu und ging dann in einiger Entfernung hinter ihm her.
Und für Ljewin war es doppelt vergnüglich, vor den Augen dieses Jungen, der seinen Beifall zum Ausdruck brachte, in derselben Gegend kurz hintereinander noch drei Bekassinen zu erlegen.
13
D er Jägerglaube, daß die Jagd einen glücklichen Verlauf nimmt, wenn man das erste Stück Haar- oder Federwild nicht verfehlt, erwies sich als richtig.
Müde, hungrig und glückselig kehrte Ljewin zwischen neun und zehn Uhr vormittags nach seinem Quartier zurück. Er hatte etwa dreißig Werst zurückgelegt und brachte neunzehn Stück mit, teils Schnepfen, teils Bekassinen, und außerdem eine Ente; diese hatte er sich an den Gürtel gebunden, da sie in die Jagdtasche nicht mehr hineingegangen war. Seine Gefährten waren schon längst aufgewacht und hatten bereits Hunger bekommen und gefrühstückt.
»Warten Sie nur, meine Herren, warten Sie nur, ich weiß, es müssen neunzehn Stück sein«, sagte Ljewin und zählte die Schnepfen und Bekassinen zum zweitenmal durch; verkrümmt und zusammengetrocknet, mit dem geronnenen Blute und mit den seitwärts verdrehten Köpfchen, hatten sie jetzt nicht mehr ein so stattliches Aussehen wie zuvor, als sie aufflogen.
Die Rechnung stimmte, und Stepan Arkadjewitschs Neid tat Ljewin wohl. Auch das war ihm eine Freude, daß er bei seiner Rückkehr ins Lager schon den Boten von Kitty mit einem Briefchen vorfand.
»Ich bin ganz gesund und munter. Was Deine Besorgnis um mich anlangt, so kannst Du jetzt noch mehr beruhigt sein als vorher. Ich habe nämlich eine neue Leibwächterin bekommen, Jelisaweta Petrowna.« (Das war die Hebamme, eine neue, wichtige Persönlichkeit in Ljewins Familienleben.) »Sie ist gekommen, um mich vorher zu untersuchen. Sie hat mich ganz gesund befunden, und wir behalten sie bis zu Deiner Rückkehr hier. Alle sind vergnügt und gesund; also bitte, eile nicht unnötigerweise, sondern bleibe, wenn die Jagd gut ist, ruhig noch einen Tag länger.«
Diese beiden Freuden, die so glücklich
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