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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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er ihr an diesem Tage, als dem fünfzehnten des
    Monats, der eingeführten Ordnung gemäß das Wirtschaftsgeld einhändigen.
    Wie gewöhnlich hielt er seine Gedanken in strenger Zucht und gestattete ihnen, während er das alles in bezug auf
    seine Frau überlegte, nicht, sich über diese Grenze hinaus mit Dingen, die seine Frau betrafen, zu
    beschäftigen.
    Den Vormittag über hatte Alexei Alexandrowitsch außerordentlich viel zu tun. Tags zuvor hatte ihm die Gräfin
    Lydia Iwanowna eine Schrift eines berühmten, zur Zeit sich in Petersburg aufhaltenden Chinareisenden zugesandt,
    nebst einem Briefe, in dem sie ihn bat, den Reisenden, als einen in vieler Hinsicht interessanten und wertvollen
    Mann, persönlich zu empfangen. Alexei Alexandrowitsch hatte am Abend nicht mehr Zeit gehabt, die Schrift ganz
    durchzulesen, und las sie nun am Morgen zu Ende. Dann erschienen Bittsteller; es begannen die Vorträge, die
    Empfänge, die Beschlußfassung über Ernennung und Absetzung von Beamten, über zu erteilende Gratifikationen,
    Pensionen, Gehälter; dann mußte mancherlei Briefwechsel erledigt werden: lauter Handwerksarbeit, wie Alexei
    Alexandrowitsch sich ausdrückte, die sehr viel Zeit in Anspruch nahm. Darauf folgte eine persönliche Angelegenheit:
    der Besuch seines Arztes und der seines Geschäftsführers. Dieser nahm nicht viel Zeit in Anspruch. Der
    Geschäftsführer übergab ihm nur die nötigen Gelder und erstattete einen kurzen Rechenschaftsbericht über den Stand
    der Vermögensangelegenheiten; dieser Stand war nicht besonders erfreulich, da im letzten Jahre infolge der häufigen
    Reisen die Ausgaben ungewöhnlich groß gewesen waren, so daß sich ein Fehlbetrag ergab. Dagegen nahm der Arzt, der
    einer der angesehensten in Petersburg und mit Alexei Alexandrowitsch persönlich befreundet war, recht viel Zeit in
    Anspruch. Alexei Alexandrowitsch hatte ihn an diesem Tage gar nicht erwartet und war über sein Erscheinen erstaunt
    und noch mehr darüber, daß der Arzt ihn sehr eingehend über seinen Gesundheitszustand ausfragte, seine Brust
    behorchte und seine Leber beklopfte und befühlte. Alexei Alexandrowitsch wußte nicht, daß seine Freundin Lydia
    Iwanowna auf Grund ihrer Wahrnehmung, daß Alexei Alexandrowitschs Gesundheit in diesem Jahre gar nicht gut sei, den
    Arzt gebeten hatte, doch einmal zu ihm zu fahren und den Kranken zu untersuchen. ›Tun Sie es um meinetwillen!‹
    hatte die Gräfin Lydia Iwanowna gesagt.
    ›Ich werde es um Rußlands willen tun, Gräfin‹, hatte der Arzt erwidert.
    ›Ja, er ist ein unschätzbarer Mann!‹ hatte die Gräfin ausgerufen.
    Der Arzt war mit Alexei Alexandrowitsch sehr unzufrieden. Er fand, daß die Leber bedeutend vergrößert, die
    Ernährung vermindert und der Erfolg der Badekur gleich Null sei. Er verordnete ihm möglichst viel körperliche
    Bewegung und möglichst wenig geistige Anstrengung und vor allen Dingen Vermeidung aller Aufregung, also gerade
    etwas, was für Alexei Alexandrowitsch ebenso unmöglich war wie die Unterlassung des Atemholens. Und als der Arzt
    sich entfernt hatte, blieb Alexei Alexandrowitsch mit dem unangenehmen Bewußtsein zurück, daß irgend etwas mit ihm
    nicht richtig sei und daß es dafür keine Heilung gebe.
    Als der Arzt von Alexei Alexandrowitsch weggegangen war, stieß er auf den Stufen vor der Haustür mit dem ihm
    wohlbekannten Herrn Sljudin, dem Subdirektor Alexei Alexandrowitschs, zusammen. Sie kannten sich von der
    Universität her, und obgleich sie jetzt nur selten miteinander zusammenkamen, schätzten sie sich doch wechselseitig
    sehr und waren gute Freunde; und darum sprach der Arzt zu Sljudin seine Meinung über den Patienten offenherziger
    aus, als er es irgendeinem anderen gegenüber getan haben würde.
    »Wie freue ich mich, daß Sie bei ihm gewesen sind«, sagte Sljudin. »Er ist nicht recht gesund, und mir scheint
    ... Nun, wie steht es?«
    »Die Sache ist die«, antwortete der Arzt und winkte über Sljudins Kopf hinweg seinem Kutscher zu, er möchte
    vorfahren, »die Sache ist die«, sagte er noch einmal, indem er einen Finger eines seiner Glacéhandschuhe mit seinen
    beiden weißen Händen faßte und straff zog, »wenn Sie eine Saite nicht spannen und sie in diesem Zustand zu
    zerreißen versuchen, so ist das sehr schwer; aber spannen Sie sie bis zum äußersten Grade der Möglichkeit an und
    üben Sie dann nur einen mäßigen Druck mit dem Finger aus, so wird sie reißen. Und er bei seiner

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