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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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den Zimmern, in denen sie sonst waltete, eine gewisse Ähnlichkeit erhalten hatten: die
    Betten waren bereit, die Bürsten, Kämme und Spiegel zur Hand gelegt, Tücher über die Waschtische gebreitet.
    Konstantin hatte die Vorstellung, daß es unverzeihlich sei, jetzt zu essen, schlafen zu gehen, ja selbst zu
    reden, und fand, daß jede seiner Bewegungen unpassend herauskam. Sie dagegen legte ihre Bürstchen zurecht, machte
    das aber so, daß für niemand etwas Verletzendes darin liegen konnte.
    Zu essen jedoch waren sie beide nicht imstande und konnten, obwohl sie das Schlafengehen noch lange
    hinausgeschoben hatten, auch dann lange Zeit nicht einschlafen.
    »Ich freue mich sehr, daß ich ihn überredet habe, morgen die Letzte Ölung zu empfangen«, sagte sie, während sie
    in der Nachtjacke vor ihrem zusammenlegbaren Spiegel saß und mit einem dichten Kamm ihr weiches, duftiges Haar
    auskämmte. »Ich habe das noch nie mit angesehen; aber ich weiß, daß dabei Gebete für die Genesung gesprochen
    werden; Mama hat es mir gesagt.«
    »Meinst du denn wirklich, daß er wieder gesund werden kann?« fragte Konstantin und blickte auf den schmalen
    Scheitel hinten an ihrem rundlichen Köpfchen, der beständig verschwand, sobald sie den Kamm nach vorn führte.
    »Ich habe den Arzt gefragt. Er sagte, er könne höchstens noch drei Tage leben. Aber können denn die Ärzte so
    etwas wissen? Jedenfalls freue ich mich sehr, daß ich ihn dazu überredet habe«, sagte sie, indem sie unter ihrem
    Haar hervor mit einem schrägen Blick nach ihrem Manne hinsah. »Möglich ist alles«, fügte sie mit jenem besonderen,
    ein wenig listigen Ausdruck hinzu, der immer auf ihrem Gesicht erschien, sobald sie von religiösen Dingen
    sprach.
    Nach ihrem Gespräch über Religion, damals als sie noch Braut und Bräutigam waren, hatten weder er noch sie
    jemals wieder ein Gespräch über diesen Gegenstand herbeigeführt; aber sie erfüllte ihre religiöse Pflicht des
    Kirchenbesuches und des Betens immer mit dem gleichen ruhigen Bewußtsein, daß dies so sein müsse. Trotz seiner
    Versicherung des Gegenteils war sie fest davon überzeugt, daß er ein ebenso guter und sogar noch besserer Christ
    sei als sie selbst und daß alles, was er darüber sage, nur zu den komischen Späßen gehöre, die er und andere Männer
    so gern machten, gerade wie wenn er zu ihrer Handarbeit bemerkte, vernünftige Leute stopften die Löcher und sie
    schnitte absichtlich welche hinein, und so weiter.
    »Ja, diese Frauensperson, diese Marja Nikolajewna, hat es nicht verstanden, alles ordentlich einzurichten«,
    sagte Konstantin. »Und ... ich muß gestehen, ich freue mich sehr, sehr freue ich mich, daß du mitgekommen bist. Du
    bist ein solcher Inbegriff von Reinheit, daß ...« Er ergriff ihre Hand, küßte sie aber nicht (ihre Hand zu küssen
    bei solcher Nähe des Todes schien ihm unschicklich), sondern drückte sie ihr nur, wobei er ihr mit schuldbewußter
    Miene in die aufleuchtenden Augen blickte.
    »Du hättest gar zuviel Qual ausgestanden, wenn du allein hier gewesen wärest«, sagte sie, hob die Arme, die ihre
    vor Freude errötenden Wangen verdeckten, wickelte am Hinterkopfe ihre Zöpfe zusammen und steckte sie mit Haarnadeln
    fest. »Nein«, fuhr sie fort, »das hat sie nicht verstanden ... Ich habe zum Glück viel davon in Soden gelernt.«
    »Waren denn da so schwer Kranke?«
    »Noch schlimmere.«
    »Für mich ist es eine schreckliche Empfindung, daß er mir immer so vor Augen steht, wie er in seiner Jugend war.
    Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für ein prächtiger junger Mensch er war; aber ich hatte damals für ihn kein
    Verständnis.«
    »Doch, ich kann es mir vorstellen, gewiß kann ich es mir vorstellen. Ich bin überzeugt, er und ich, wir wären
    gute Freunde geworden«, antwortete sie und blickte, erschrocken über das, was sie gesagt hatte, ihren Mann an, und
    die Tränen traten ihr in die Augen.
    »Ja, es ist anders gekommen«, erwiderte er traurig. »Er ist eben einer von den Menschen, von denen man sagt: sie
    taugen nicht für diese Welt.«
    »Aber es stehen uns noch viele schwere Tage bevor; wir müssen uns schlafen legen«, sagte Kitty nach einem Blick
    auf ihre winzige Uhr.

20
    Am andern Tage nahm der Kranke das Abendmahl und empfing die Letzte Ölung. Während der heiligen Handlung betete
    Nikolai Ljewin heiß und inbrünstig. Er richtete seine großen Augen unverwandt auf das Heiligenbild, das auf einem
    mit einem geblümten Tuch

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