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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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wunderschöner Ball!« sagte er zu ihr, um nur überhaupt etwas zu sagen.
    »Ja«, antwortete sie.
    Mitten in der Masurka wurde eine von Korsunski neu ersonnene, schwierige Figur ausgeführt, und Anna, an der die
    Reihe war, sie zu wiederholen, trat in die Mitte des Kreises, wählte zwei Herren und rief dann Kitty und eine
    andere Dame zu sich heran. Erschrocken blickte Kitty, als sie zu Anna herantrat, sie an. Anna zwinkerte ihr
    freundlich zu, lächelte und drückte ihr die Hand. Als sie aber bemerkte, daß Kittys Gesicht dieses Lächeln nur mit
    einer Miene des Staunens und der Verzweiflung erwiderte, wandte sie sich von ihr ab und redete heiter mit der
    anderen Dame.
    ›Ja, es ist etwas Fremdes, Unheimliches in diesem entzückenden Wesen!‹ dachte Kitty.
    Anna wollte nicht zum Abendessen bleiben; der Hausherr bat sie inständigst.
    »Geben Sie nur nach, Anna Arkadjewna!« kam ihm Korsunski zu Hilfe, hielt ihr seinen Arm hin und legte ihren
    entblößten Arm auf seinen Frackärmel. »Wenn Sie wüßten, was für einen prachtvollen Kotillon ich vorbereitet habe!
    Un bijou 2 !«
    Und er bewegte sich sacht weiter, indem er versuchte, sie mit fortzuziehen. Der Hausherr lächelte beifällig.
    »Nein, ich bleibe nicht«, erwiderte Anna lächelnd; aber trotz diesem Lächeln merkten sowohl Korsunski wie auch
    der Hausherr an dem bestimmten Tone, in dem sie antwortete, daß sie nicht dableiben werde.
    »Nein, ich habe sowieso schon hier in Moskau auf diesem einen Balle bei Ihnen mehr getanzt als den ganzen Winter
    über in Petersburg«, sagte Anna mit einem Seitenblick zu dem neben ihr stehenden Wronski. »Ich muß mich vor der
    Abreise noch ein wenig ausruhen.«
    »Und Sie fahren wirklich morgen unwiderruflich weg?« fragte Wronski.
    »Ja, ich denke wohl«, erwiderte Anna, wie verwundert über die Kühnheit seiner Frage; aber während sie das sagte,
    flog von ihren leuchtenden Augen und lächelnden Lippen gleichsam ein nicht zurückzuhaltender, zitternder, sengender
    Strahl zu ihm hinüber.
    Anna Arkadjewna blieb nicht zum Abendessen, sondern fuhr vorher nach Hause.
Fußnoten
    1 (frz.) bald zum großen Reigen, bald zur
    Kette.
    2 (frz.) Ein Juwel.

24
    ›Ja, ich muß wohl etwas Widerwärtiges, Abstoßendes an mir haben‹, dachte Ljewin, als er von Schtscherbazkis
    wegging und zu Fuß die Richtung nach der Wohnung seines Bruders einschlug. ›Und ich passe auch wirklich nicht zu
    anderen Menschen. Man hält mich für stolz. Nein, stolz bin ich nicht. Wäre ich stolz, so hätte ich mich nicht in
    eine solche Lage gebracht.‹ Und er vergegenwärtigte sich Wronski, diesen glücklichen, gutherzigen, verständigen,
    ruhigen Menschen, der sich wahrscheinlich noch nie in einer so schrecklichen Lage befunden hatte wie er an diesem
    Abend. ›Ja, sie konnte gar nicht anders als ihm den Vorzug geben. Das mußte so sein, und ich darf mich über niemand
    und über nichts beklagen. Ich selbst trage die Schuld. Mit welchem Rechte konnte ich glauben, daß sie Lust haben
    werde, ihr Leben mit dem meinigen zu verbinden? Wer bin ich? Und was bin ich? Ein wertloser Mensch, den niemand
    gebrauchen kann.‹ Dabei gedachte er seines Bruders Nikolai und verweilte mit Lust bei dieser Erinnerung. ›Hat er
    etwa nicht recht, daß alles in der Welt schlecht und garstig ist? Wir urteilen über unseren Bruder Nikolai wohl
    kaum gerecht und haben es nie getan. Natürlich, von Prokofis Standpunkt, der ihn in einem zerrissenen Pelz und arg
    betrunken gesehen hat, ist er ein verächtlicher Mensch, aber ich kenne ihn von einer anderen Seite. Ich kenne seine
    Seele und weiß, daß ich mit ihm manche Ähnlichkeit habe. Aber statt ihn sofort aufzusuchen, bin ich zuerst zu einem
    Diner und dorthin gefahren.‹ Ljewin trat an eine Laterne heran, las die Anschrift seines Bruders, die er in seiner
    Brieftasche bei sich hatte, und rief einen Droschkenkutscher an. Auf der ganzen langen Fahrt zu seinem Bruder
    erinnerte sich Ljewin lebhaft an allerlei ihm bekannte Ereignisse aus dessen Leben. Er erinnerte sich, wie sein
    Bruder während der Universitätszeit und noch das darauffolgende Jahr hindurch trotz den Spötteleien seiner
    Kameraden wie ein Mönch gelebt und streng alle Religionsbräuche erfüllt, den Gottesdienst besucht, die Fasten
    innegehalten und jedes Vergnügen, namentlich auch die Frauen, gemieden hatte, und wie es ihn dann plötzlich gepackt
    hatte und er mit den verkommensten Menschen in Verkehr getreten war und sich der zügellosesten

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