Anna Karenina
werden, das hängt von Ihnen ab.«
Sie wollte etwas sagen, aber er ließ sie nicht zu Worte kommen:
»Ich bitte ja nur um dies: ich bitte nur um das Recht, weiter hoffen, weiter leiden zu dürfen wie jetzt; aber
wenn auch das unmöglich ist, so befehlen Sie mir, zu verschwinden, und ich werde verschwinden. Sie sollen mich
nicht mehr sehen, wenn meine Gegenwart Ihnen lästig ist.«
»Ich will Sie nicht vertreiben.«
»Dann lassen Sie, bitte, einfach alles, wie es ist; ändern Sie nichts«, sagte er mit zitternder Stimme. »Da
kommt Ihr Mann.«
In der Tat trat in diesem Augenblick Alexei Alexandrowitsch mit seinem ruhigen, plumpen Gang in den Salon.
Nachdem er einen Blick nach seiner Frau und Wronski hin geworfen hatte, ging er zur Hausfrau, setzte sich zu
einer Tasse Tee nieder und begann mit seiner langsamen, stets laut vernehmlichen Stimme zu reden, in seinem
gewöhnlichen Tone ironischer Neckerei.
»Ihr Rambouillet scheint ja vollzählig versammelt zu sein«, bemerkte er, indem er seinen Blick über die ganze
Gesellschaft schweifen ließ. »Die Grazien und die Musen.«
Aber die Fürstin konnte diesen Ton an ihm nicht ausstehen, dieses sneering 1 , wie sie es nannte, und verwickelte ihn daher als kluge Wirtin sofort in ein
ernsthaftes Gespräch über die allgemeine Wehrpflicht. Alexei Alexandrowitsch geriet bei diesem Gegenstande sogleich
in Eifer und begann, nunmehr ganz ernst, das neue Gesetz gegen die Fürstin Betsy zu verteidigen, die es lebhaft
bekämpfte.
Wronski und Anna waren an dem kleinen Tisch sitzen geblieben.
»Das fängt aber an, unschicklich zu werden«, flüsterte eine der Damen und wies mit den Augen auf Wronski, Frau
Karenina und ihren Mann.
»Nun, was habe ich Ihnen gesagt?« antwortete Annas Freundin.
Aber nicht diese beiden Damen allein, sondern fast alle Gäste, die im Salon waren, sogar die Fürstin Mjachkaja
und Betsy selbst, blickten immer wieder nach den beiden hin, die sich von dem allgemeinen Kreise abgesondert
hatten, als ob das Zusammensein mit allen sie störe. Nur Alexei Alexandrowitsch sah nicht ein einziges Mal nach
jener Seite hinüber und ließ sich von dem interessanten Gespräche, in das er sich eingelassen hatte, nicht
ablenken.
Als Betsy bemerkte, welchen unangenehmen Eindruck jene Absonderung auf alle machte, veranlaßte sie jemand
anderes, an ihrer Statt die Auseinandersetzungen Alexei Alexandrowitschs anzuhören, und trat zu Anna hin.
»Ich staune immer von neuem über die klare, bestimmte Ausdrucksweise Ihres Mannes«, sagte sie. »Die
transzendentalsten Begriffe werden mir verständlich, wenn er über sie spricht.«
»O ja«, antwortete Anna; ihr ganzes Gesicht strahlte von einem glücklichen Lächeln, aber sie hatte auch nicht
ein Wort verstanden von dem, was Betsy zu ihr gesagt hatte. Sie ging zu dem großen Tische hinüber und nahm an der
allgemeinen Unterhaltung teil.
Nachdem Alexei Alexandrowitsch eine halbe Stunde gesessen hatte, trat er zu seiner Frau und schlug ihr vor, mit
ihm zusammen nach Hause zu fahren; aber sie antwortete, ohne ihn anzublicken, sie wolle zum Abendessen dableiben.
Alexei Alexandrowitsch verabschiedete sich und ging weg.
Der Kutscher der Frau Karenina, ein alter dicker Tatar in glanzledernem Mantel, hielt an der Ausfahrt nur mit
Mühe den linken der beiden Grauen zurück, der frierend sich bäumte. Der Diener stand an dem geöffneten Wagenschlag.
Der Pförtner stand gleichfalls an der Außentür, die Hand an der Klinke. Anna Arkadjewna nestelte mit ihrer kleinen,
flinken Hand den Spitzenbesatz ihres Kleiderärmels von einem Haken ihres Pelzes los und hörte mit vorgebeugtem Kopf
voll Entzücken auf die Worte des sie hinausbegleitenden Wronski.
»Sie haben allerdings nichts gesagt, und ich verlange auch nichts«, sagte er; »aber Sie wissen, daß ich
Freundschaft nicht brauchen kann. Für mich ist nur ein Glück im Leben möglich, eben jenes Wort, das Sie so
gar nicht leiden mögen, – ja, die Liebe.«
»Die Liebe«, wiederholte sie langsam, wie aus tiefster Brust, und fügte plötzlich in dem Augenblicke, da sie
ihre Spitzen los bekommen hatte, hinzu: »Ich mag dieses Wort deshalb nicht leiden, weil es nach meiner Auffassung
gar zuviel bedeutet, weit mehr, als Sie sich vorstellen können.« Sie blickte ihm voll ins Gesicht: »Auf
Wiedersehen!«
Sie reichte ihm die Hand, ging mit schnellem, elastischem Schritte an dem Pförtner vorbei und verschwand im
Wagen.
Ihren Blick und die Berührung
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