Anna Karenina
Blicke an.
»Interessiert Sie das nicht?«
»O doch, sehr. Was schreibt man Ihnen denn Näheres, wenn ich danach fragen darf?« entgegnete er.
Anna stand auf und trat zu Betsy hin.
»Wollen Sie mir eine Tasse Tee geben?« sagte sie, indem sie hinter ihrem Stuhle stehen blieb.
Während Betsy ihr Tee eingoß, kam Wronski wieder zu Anna heran.
»Was schreibt man Ihnen denn?« fragte er noch einmal.
»Ich denke oft, daß die Männer kein Verständnis dafür haben, was unedel ist, obwohl sie soviel davon reden«,
sagte Anna, ohne auf seine Frage zu antworten. »Ich wollte Ihnen das schon lange sagen«, fügte sie hinzu; dann ging
sie einige Schritte weiter und setzte sich an einen Ecktisch mit Albums.
»Ich verstehe den Sinn Ihrer Worte nicht ganz«, sagte er, indem er ihr die Tasse dorthin brachte.
Sie blickte nach dem freien Platze auf dem Sofa neben dem ihrigen, und er setzte sich sogleich hin.
»Ja, ich wollte Ihnen das sagen«, wiederholte sie, ohne ihn anzusehen. »Sie haben schlecht gehandelt, schlecht,
sehr schlecht.«
»Weiß ich das denn etwa nicht selbst, daß ich schlecht gehandelt habe? Aber wer ist die Ursache, daß ich so
gehandelt habe?«
»Warum sagen Sie mir das?« erwiderte sie und sah ihn mit einem strengen Blicke an.
»Sie wissen, warum«, antwortete er kühn und freudig, indem er ihrem Blicke begegnete, ohne die Augen
niederzuschlagen.
Nicht er, sondern sie wurde verlegen.
»Das beweist nur, daß Sie kein Herz haben«, versetzte sie. Aber ihr Blick sagte, daß sie wisse, er habe ein
Herz, und daß sie ihn deshalb fürchte.
»Das, wovon Sie soeben gesprochen haben, war der Irrtum und nicht die Liebe«, sagte Wronski.
»Sie werden sich erinnern, daß ich Ihnen verboten habe, dieses Wort, dieses häßliche Wort auszusprechen«,
versetzte Anna zusammenzuckend; aber im gleichen Augenblicke merkte sie, daß sie schon durch die bloße Verwendung
des Ausdruckes »ich habe Ihnen verboten« gezeigt habe, daß sie ein gewisses Recht über ihn für sich in Anspruch
nehme, und sie sagte sich, daß sie ihn gerade dadurch dazu ermutige, von seiner Liebe zu reden. »Ich habe Ihnen das
schon längst sagen wollen«, fuhr sie fort, während sie ihm entschlossen in die Augen blickte und von einer
brennenden Glut über das ganze Gesicht errötete, »und heute bin ich absichtlich hierhergekommen, weil ich wußte,
daß ich Sie hier träfe. Ich bin hergekommen, um Ihnen zu sagen, daß dies ein Ende nehmen muß. Ich habe noch nie vor
jemand zu erröten brauchen; aber Sie erwecken in mir eine Art von Schuldbewußtsein.«
Er sah sie an und war überrascht von der neuen seelischen Schönheit ihres Gesichtes.
»Was verlangen Sie von mir?« fragte er in schlichtem, ernstem Tone.
»Ich verlange, daß Sie nach Moskau reisen und Kitty um Verzeihung bitten«, antwortete sie.
»Das verlangen Sie in Wirklichkeit nicht«, erwiderte er.
Er sah, daß sie etwas gesagt hatte, wozu sie sich selbst erst hatte zwingen müssen und was ihrer wahren Meinung
nicht entsprach.
»Wenn Sie mich lieben, wie Sie ja sagen«, flüsterte sie, »so geben Sie mir meine Ruhe wieder.«
Sein Gesicht leuchtete auf.
»Wissen Sie denn nicht, daß Sie für mich das ganze Leben bedeuten? Aber Ruhe kenne ich nicht und kann ich Ihnen
nicht geben. Mein ganzes Ich, meine Liebe, – ja. Ich kann mir Sie und mich nicht mehr getrennt denken. Sie und ich
sind für mich eines. Und ich sehe in der Zukunft keine Möglichkeit der Ruhe, weder für mich noch für Sie. Ich sehe
die Möglichkeit des Unglücks, der Verzweiflung, – und ich sehe die Möglichkeit des Glückes, und welch eines
Glückes! – Ist denn etwa dieses Glück nicht möglich?« fügte er nur durch Bewegungen der Lippen hinzu, aber sie
glaubte die Worte zu hören.
Sie strengte alle Kräfte ihres Geistes an, um das zu sagen, was zu sagen ihre Pflicht war; aber statt dies zu
tun, richtete sie ihren Blick auf ihn, einen Blick voll Liebe, und antwortete gar nichts.
›Da ist es!‹ dachte er voll Jubel. ›In dem Augenblick, da ich schon verzweifelte und alles aussichtslos schien,
– nun ist es auf einmal da! Sie liebt mich! Sie gesteht es selbst!‹
»So tun Sie eines um meinetwillen: Sprechen Sie nie wieder solche Worte zu mir, und dann wollen wir gute Freunde
sein«, so sprach ihr Mund, aber ihr Blick redete etwas ganz anderes.
»Freunde können wir nicht sein; das wissen Sie selbst. Aber ob wir die glücklichsten oder die unglücklichsten
aller Menschen sein
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