Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
und reiße sie rückwärts an mich. Ihr Geruch ist wölfisch, wild, menschlich.
Ich stoße den Dolch in das, was ich am leichtesten erreichen kann, ihren ungeschützten Bauch. Sie kreischt vor Wut und Schmerz, aber die Wunde ist nicht tödlich. Heißes, duftendes Blut läuft über meine Hand. Sie strampelt wild in der Luft und versucht, mich abzuschütteln. Ich halte mich fest, kämpfe gegen sie und gegen die vampirische Gier, die nach ihrem Blut dürstet. Wenn ich meinen Griff lockern würde, nur ein bisschen, könnte ich ihren Hals ein wenig zu mir herumdrehen, ihn erreichen, trinken.
Ihr Kiefer öffnet sich weit, die Reißzähne suchen ein Ziel. Suchen nach Haut, die sie zerfetzen, Knochen, die sie brechen können. Nach mir.
Ich packe sie noch fester. Umklammere den Dolch mit aller Kraft. Als ich diesmal zustoße, treffe ich ins Ziel.
Ins Herz der Bestie.
Einen Moment lang bleibt die Erde stehen. Nur die Wölfin bewegt sich. Sie zuckt und wimmert. Ich springe rückwärts von ihr weg. Sie folgt mir nicht.
Sie krümmt sich zuckend zusammen, und ihr Kiefer schnappt verzweifelt und vergeblich nach dem Dolch. Ihre ungeschickten, panischen Versuche treiben ihn nur noch tiefer hinein.
Nach einer weiteren Sekunde hört das Zappeln auf.
Der Kopf der Wölfin sinkt auf den Boden. Es bewegt sich nur noch das Blut. Es pumpt sacht aus ihr heraus, sickert um den Dolch herum und färbt ihr Fell scharlachrot. Ich befehle mir, nicht darauf zu reagieren und mich nicht von der Stelle zu rühren. Meine Fingernägel bohren sich so tief in die Handflächen, dass es schließlich der Geruch meines eigenen Blutes ist, der in meinen Kopf durchdringt. Ich wende den Blick nicht von der Wölfin ab. Wie in Zeitlupe beginnt die Verwandlung vom Tier in einen Menschen.
Ich spüre, dass auch Sandra sie beobachtet.
Das Fell zieht sich in die Haut zurück. Der Kopf formt sich um, gefolgt von den Gliedern. Die Rückenwirbel ordnen sich neu, mit einem Knacken wie von verwitterten Ästen eines abgestorbenen Baumes. Der Dolch sieht in der nackten menschlichen Brust viel tödlicher aus als in der der Wölfin.
Tamaras Gesicht ist im Tod verzerrt, der Mund offen, die Zähne gebleckt. Um ihren Hals hängen zwei Goldketten.
Sie hatte Sandras Medaillon die ganze Zeit über bei sich.
Kapitel 65
Sandra hat sich immer noch nicht von der Stelle gerührt. Als ich mich zu ihr umdrehe, sehe ich Erleichterung in ihren Augen aufblitzen, aber im nächsten Moment weicht der Ausdruck Angst und Schmerz. Sie fällt auf die Knie, krümmt sich nach vorn und stößt einen Schrei aus.
»Was ist denn, Avery?«, frage ich. »Sind deine Pläne durchkreuzt worden? Aber du warst clever, das muss ich sagen. Ich habe Tamara keinen Moment lang verdächtigt.« Ich knie mich neben Tamara und ziehe ihr beide Ketten über den Kopf. Die Medaillons sind fast identisch. »Welches ist deines, Sandra? Sag es mir, dann können wir das hier beenden.«
Sie kann nichts weiter tun, als sich hilflos an die eigene Kehle zu greifen. Avery hindert sie daran, mir zu antworten. Er übt irgendeinen innerlichen Druck aus, der sie fast erstickt. »Okay. Machen wir es anders.«
Ich trete zu Sandra, helfe ihr, sich so weit aufzurichten, dass ich ihr die Ketten über den Kopf streifen kann, und lasse beide Medaillons zwischen ihre Brüste fallen. Sofort brüllt Avery vor Wut, denn er spürt, wie die Macht des Talismans seine eigene aufzehrt.
Sandras Kraft kehrt zurück. Sie packt mich am Arm. »Geh jetzt. Ich verwandle mich. Schließ uns hier unten ein. Komm nicht zurück. Wenn ich überlebe, werde ich Kontakt zu dir aufnehmen.«
»Ich kann dich nicht allein lassen. Avery ist auch mein Feind. Es muss doch etwas geben, was ich tun kann.«
Sie schüttelt den Kopf. »Das hier ist mein Kampf. Wenn ich mich verändert habe, wird Avery versuchen, mich auf dich zu hetzen. Es ist möglich, dass ich mich nicht dagegen wehren kann.«
Immer noch bringe ich es nicht über mich, einfach zu gehen.
Sandras Stimme wird hart. »Du hilfst mir so nicht. Mit jedem Augenblick, den du bleibst, behauptet Avery sich wieder mehr. Du musst gehen. Eine von uns muss überleben, für den Fall, dass .... « Sie beendet den Satz nicht. Das ist auch nicht nötig. Falls Avery überlebt, falls er mich wieder in ihrem Körper angreift, werde ich wissen, was ich zu tun habe.
»Was ist mit dem Rest deines Rudels? Können die anderen dir helfen?«
Wieder schüttelt sie den Kopf. »Ich habe sie nach Mexiko zurückgeschickt.
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