Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
Vielleicht sogar mehr als ich, denn er und Culebra waren schon lange miteinander befreundet, ehe ich auf der Bildfläche erschienen bin. Trotzdem durchfährt mich bei der Vorstellung, dass ich ihm wieder am Arm einer anderen Vampirin begegnen könnte, ein zorniger Stich.
Culebras gereizte Miene weicht einem Ausdruck von Mitgefühl und Verständnis, doch er sagt nichts. Was könnte er auch sagen? Das ist schließlich mein Problem.
Ich wende mich abrupt ab. Ich finde keinen Grund dafür, noch länger hierzubleiben. Eine schlagfertige Bemerkung zum Abschied fällt mir auch nicht ein. Vielleicht fahre ich einfach zurück zum Glory’s und warte auf O’Sullivan. Wenn ich mich um den gekümmert habe, reiße ich einen dieser ehrgeizigen Yuppies auf und nehme ihn mit nach Hause. Vögle ihm das Gehirn heraus und schicke ihn wieder weg.
Ich spüre Culebras Missbilligung. Sie summt in der Luft wie Radiowellen, aber er kann mir nicht helfen, und er kann mich nicht daran hindern, für mich selbst zu sorgen.
Er versucht es nicht einmal. Genau wie ich mir die Mühe spare, mich zu verabschieden.
Kapitel 7
Ich habe die Tür schon fast erreicht, als eine der Werwolffrauen mir den Weg verstellt. Das ist kein Versehen. Sie sieht mich an und stößt ein grollendes Knurren aus – eine Herausforderung, eine Drohung. Ein Knurren steigt auch in meiner Kehle hoch, ein Adrenalinstoß schießt durch meine Adern. Der Vampir in mir macht sich zur Verteidigung bereit. In der Bar herrscht plötzlich Stille.
»Was willst du?« Meine Stimme klingt barsch, meine Muskeln sind gespannt.
Die Frau starrt mich an. »Bist du Anna Strong?«
Sie kennt meinen Namen? Verblüfft trete ich einen Schritt zurück, um sie zu mustern. Kenne ich sie? Sie ist so groß wie ich. Braunes, kurzgeschnittenes Haar. Dunkle Augen in einem Gesicht, das hübsch wäre, wenn es nicht so einen hasserfüllten Ausdruck hätte. Sie trägt eine hautenge Jeans und eine abgewetzte Lederjacke, deren Reißverschluss bis zum Hals zugezogen ist.
Mit großer Geste zieht sie die Jacke aus und lässt sie auf den Boden fallen. Darunter trägt sie ein Tanktop, das eine üppige, bunte Tätowierung am rechten Arm erkennen lässt – etwas mit einem Adler und einer wehenden Flagge. Es enthüllt außerdem muskulöse Schultern und gestählte Oberarme, deren Muskeln sie nun spielen lässt wie ein Preisboxer.
Ich bin inzwischen ziemlich sicher, dass ich sie nicht kenne, aber ihre Posen entlocken mir ein Lächeln. Sie sieht aus wie ein Raufbold, der sich auf dem Pausenhof aufplustert. Ich verkneife mir das Lachen und frage: »Willst du was von mir, Schätzchen?«
Mit dieser Reaktion hat sie nicht gerechnet. Ein zorniger Ausdruck zieht ihre schmalen Lippen weiter zusammen. »Findest du das witzig?«
Plötzlich steht Culebra zwischen uns. »Schluss damit.«
Nur zwei Wörtchen, aber seine Stimme klingt wie ein Peitschenknall. Er wendet sich der Werwölfin zu. »Du bist ein Gast in meinem Haus. Hast du das vergessen?« Er dreht sich zu der Menge an der Bar um. »Sandra, du hast mir dein Wort gegeben, dass ich keinen Ärger bekommen werde. Missbrauchst du etwa meine Gastfreundschaft?«
Die Werwölfin weicht einen Schritt zurück und dreht sich dann zur Bar um. Ich ebenfalls, obwohl ich erst nicht erkennen kann, mit wem Culebra spricht. Dann gerät die Menge in Bewegung und teilt sich, um jemanden durchzulassen. Eine Frau.
Sie löst sich von den anderen. Sie sagt kein Wort, sondern schaut nur mich an. Mein Puls beginnt zu rasen. Ich kann mich nicht rühren, den Blick nicht abwenden. Ich will auch nicht.
Sie ist atemberaubend. Mehr als schön. Groß, schlank, in schwarzes, eng anliegendes Leder gekleidet. Ihr dunkles Haar umrahmt ihr Gesicht wie eine Vitrine für ihre Augen, die im Licht der Bar blaugrün blitzen, und die üppig geschwungenen, leicht geöffneten Lippen. Ihre glatte Haut schimmert hell, als wäre sie selbst hier drinnen in Mondlicht getaucht.
Die Wirkung ist umwerfend und erschreckend zugleich. Sämtliche Blicke im Raum sind auf dieses makellose Gesicht gerichtet. Ich habe so etwas noch nie gespürt – eine sexuelle Anziehung, die so stark ist, dass Geschlecht und Spezies keine Rolle spielen. Nicht zu fassen, dass ich sie erst jetzt bemerke.
Nur Culebra scheint gegen sie immun zu sein. Er legt mir eine Hand auf den Arm und hält mich fest, damit ich ihm nicht von der Seite weiche.
»Also?«, herrscht er sie an. »Muss ich euch bitten zu gehen, Sandra? Oder stehst du zu
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