Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
Einem wahren Geistesblitz, wie ich ihn gestern hatte, als Gloria mir versprechen musste, mich nicht mehr bei David mieszumachen. Dieser ist sogar noch besser.
Ich kann Glorias Verzweiflung zu meinem Vorteil ausnutzen und sie ein für alle Mal loswerden.
»Okay, Gloria. Ich komme noch heute Vormittag zu dir ins Gefängnis. Aber ich helfe dir nur unter gewissen Bedingungen.«
»Und die wären?« Sie klingt gedämpft, resigniert, als wüsste oder ahnte sie schon, was jetzt kommen wird.
»Erstens, du sagst dich von David los. Endgültig. Er verdient etwas Besseres als dich.«
»Ich weiß.«
»Ich meine es ernst. Keine Anrufe. Keine heimlichen Besuche. Wenn er dich anruft, legst du auf. Du antwortest nicht auf seine Nachrichten. Du schickst ihm nicht mal eine Weihnachtskarte. Er wird aus deinem Leben gestrichen.«
»Okay.« Dünnes Stimmchen.
»Zweitens erwarte ich, für meine Dienste bezahlt zu werden.« Ich überschlage hastig ein paar Zahlen. Wie viel kann ich ihr abknöpfen? Der ganze Ärger kann sich doch wenigstens für mich lohnen. »Zweihundert pro Stunde, plus Spesen. Ab sofort.«
»Einverstanden.« So schnell? Mist. Ich hätte mehr verlangen sollen.
Ich zucke innerlich mit den Schultern und fahre fort: »Wer so reich ist wie Sullivan, muss sich irgendwo auf dem Weg nach oben Feinde gemacht haben. Was kannst du mir über ihn erzählen?«
»Nichts.«
»Was soll das heißen, nichts? Du hast ein hübsches Sümmchen in dieses Restaurant gesteckt, da musst du ihn doch vorher überprüft haben. Oder ihn zumindest von deinem Anwalt durchleuchten lassen.«
Ein paar Sekunden lang herrscht tiefes Schweigen, dann ist das dünne Stimmchen wieder da. »Mein Anwalt hat nur das überprüft, was direkt mit unserem Vertrag zu tun hatte. Ich war daran interessiert, ein Restaurant zu eröffnen, und Rory hatte die Mittel und das Know-how dazu.« Ein leichtes Quengeln schleicht sich in ihren Tonfall, als sie hinzusetzt: »Das habe ich dir alles schon gesagt.«
»Und wenn ihr beiden zusammen wart? Worüber habt ihr geredet?«
»Eigentlich über gar nichts. Wir haben über das Restaurant gesprochen. Einrichtung, Angestellte, geschäftliche Sachen.«
»Ich meine im Bett, Gloria. Hat er nie irgendetwas erzählt, Ärger mit anderen Geschäftspartnern er-wähnt oder Krach zu Hause?«
Das Quengeln wird zu Gereiztheit. »Wir haben nicht viel geredet.«
So komme ich nicht weiter. Ich schaue auf die Uhr, es ist fast acht. »Ich kann um zehn Uhr im Gefängnis sein. Wann kommt dein Anwalt?«
»In einer Viertelstunde. Er will bei der Haftprüfung versuchen, Kaution zu beantragen. Um zehn bin ich entweder zu Hause oder wieder hier. Ich gebe dir Bescheid.«
Wir beenden das Gespräch. Ich lege das Handy auf die Küchentheke und hebe die Zeitung auf, um den Artikel über O’Sullivans Tod zu Ende zu lesen. Ich brauche die Ablenkung. Mein Instinkt kreischt mich an, es sei ein Riesenfehler gewesen, dass ich mich bereit erklärt habe, Gloria zu helfen. Aber was auch immer dabei herauskommen mag, zumindest wird David sie ein für alle Mal los sein.
Wenn ich nichts finde, wenn Gloria gelogen und O’Sullivan doch umgebracht hat, kann David sich ebenfalls glücklich schätzen. Denn dann wird Gloria im Gefängnis verschwinden.
Ich überfliege den Artikel. O’Sullivan wird darin als mustergültiger Stadtbürger, angesehener Geschäftsmann und liebevoller Ehemann und Vater dargestellt. Gloria hingegen erscheint als verzogene Zicke und Ehebrecherin, die O’Sullivan umgebracht haben soll, weil der sich weigerte, seine Frau zu verlassen. Kaum überraschend. Diese Charakterisierung stammt von der trauernden Ehefrau, die von der Affäre ihres Mannes wusste – angeblich hatte er gebeichtet und ihr geschworen, die Sache mit Gloria sei vorbei. Ihr zufolge war O’Sullivan vor Wochen reumütig in den Schoß der Familie zurückgekehrt, aber die intrigante Gloria hat ihn einfach nicht in Ruhe gelassen.
Das ist selbst für mich zu viel. Ich hasse Gloria, aber ich kenne sie auch. Sie ist zu eitel und selbstsüchtig, um irgendeinem Mann nachzulaufen oder ihn gar anzubetteln. Vor allem, da sie ja Ersatz parat hatte. Sie mag eine Affäre mit O’Sullivan gehabt haben, aber ihn verfolgen? Nein. Nicht, wenn hinter den Kulissen David auf sie wartet.
David. Ich greife wieder zum Telefon, wähle seine Handynummer und lande direkt in der Mailbox. Als Nächstes versuche ich es im Büro und gebe den Code ein, um die Nachrichten abzufragen. Wir haben nur
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