Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
ich unsicher, wie ich mit ihm umgehen soll. Er soll sich nicht mieser fühlen, als er es ohnehin schon tut, und ich will ihn auch nicht noch mehr gegen mich aufbringen. Ganz sicher werde ich ihm nicht erzählen, womit ich mich in den nächsten paar Tagen beschäftigen werde.
Ich räuspere mich. »Äh, David? Ich lasse dich jetzt in Ruhe. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Mach dir um die Firma keine Sorgen. Wir haben nichts anstehen. Falls ein Auftrag reinkommt, kümmere ich mich darum. Mach du einfach, was dir guttut.«
Diesmal klingt sein Lachen hart und sarkastisch.
»Was sagt man dazu?«, entgegnet er. »Anna Strong fehlen die Worte. Das habe ich ja noch nie erlebt. Also, sehr freundlich von dir, dass du mir etwas Urlaub bewilligst. Wenn du nichts dagegen hast, lege ich jetzt auf. Es wäre mir sehr lieb, wenn du nicht mehr hier anrufst. Ich will nicht mit dir sprechen. Ich will dich nicht sehen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
Das war offenbar eine rhetorische Frage, denn ehe ich sie beantworten kann, bricht die Verbindung ab.
Kapitel 15
Oha. Ich starre auf das Telefon in meiner Hand hinab. Er meint es offenbar ernst. Unerwartet überkommt mich ein nagendes, mieses Gefühl in der Magengrube. Dass David wegen Glorias Spielchen wütend und verletzt sein würde, war zu erwarten, und es ist verständlich. Dass er so sauer auf mich ist, kann ich nicht hinnehmen. Ich würde schnurstracks zu dieser verdammten Blockhütte hochfahren, wenn ich mich nicht zuerst um Gloria kümmern müsste. Aber danach – obwohl er gesagt hat, dass er mich nicht sehen will –, danach werden er und ich uns ausgiebig unterhalten.
Das Telefon klingelt erneut. Wieder eine Nummer, die ich nicht kenne. Als ich drangehe, fragt eine Stimme »Anna Strong?«, ehe ich auch nur hallo sagen kann.
Die Stimme ist ein Schnurren, weich, verführerisch. Ein Kribbeln der Erregung rast meine Wirbelsäule hinauf. »Sandra?«
Ihr Lachen ist ebenso melodisch und erotisch geladen wie ihre Stimme. »Ich bin geschmeichelt. Du hast dich also auf meinen Anruf gefreut.«
Mein Herz hämmert, und meine Handflächen beginnen zu schwitzen. Sie hat nicht gesagt, dass ich mit ihrem Anruf gerechnet, sondern dass ich mich darauf gefreut habe. Und das stimmt, ich habe mich darauf gefreut. Was völlig unsinnig ist, also werde ich es gewiss nicht zugeben.
»Culebra hat gesagt, du würdest dich bei mir melden.« Ich hoffe, meine Stimme drückt nichts weiter aus als lässige Gleichgültigkeit. Herrgott, welche Macht muss sie besitzen, wenn sie einen Zauber über eine Handyverbindung wirken kann? Es muss ein Zauber sein, denn nichts sonst könnte die wilden körperlichen Reaktionen erklären, denen ich ausgeliefert bin. Hitze wallt unter meiner Haut auf, mein Körper sehnt sich schmerzlich danach, berührt zu werden.
»Und weißt du auch, warum?«
Bei diesen Worten komme ich endlich wieder zur Vernunft. »Ja, du bist Averys Witwe. Hör zu, zwischen uns beiden gibt es nichts zu streiten. Ich bin bereit, seinen Besitz abzugeben. Ich will nichts von seiner Erbschaft haben. Wenn du mit Culebra gesprochen hast, dann weißt du ja, dass ich weder einen Fuß in Averys Haus gesetzt noch irgendeinen Versuch unternommen habe, Anspruch auf seinen Nachlass zu erheben. Wenn ich irgendwelche Papiere unterschreiben soll, mache ich das. Dein Anwalt kann sie mir gleich herschicken.«
Sie lacht und entgegnet: »Bitte, Anna. Hübsch langsam. Du hast recht. Wir haben keinen Streit miteinander. Trotzdem müssen wir uns treffen. Hast du heute Abend Zeit?«
Ich muss kurz an Gloria denken. Ich weiß nicht, wohin diese Ermittlung mich führen wird, aber bestimmt werde ich heute Abend ein paar Stunden frei sein.
Ein paar Stunden? Was glaube ich eigentlich, was zwischen Sandra und mir passieren wird? Werden wir wirklich Stunden brauchen? Wofür denn? Reiß dich zusammen. Wieder rette ich mich in die barsche Rolle. »Ich muss heute arbeiten. Aber heute Abend müsste gehen. Wo treffen wir uns?« Und ein Echo der vergangenen Nacht: Zu dir oder zu mir?
»In Averys Haus.«
Das ist kein Vorschlag. In mir sträubt sich alles. »Nein. Nicht da.«
Wieder dieses Lachen, ansteckend, fröhlich, aber diesmal mit einer gewissen Schärfe. »Ich fürchte, es muss bei Avery sein, Anna. Sagen wir um neun?«
Mein Herz klopft wild gegen meine Rippen. Erinnerungen an die Ereignisse in Averys Haus verwandeln sich in eine schwarze Schlange der Verzweiflung, die meinen Rücken hinaufkriecht.
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