Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
eine. Von David.
»Ich bin weggefahren. Weiß nicht, wann ich zurückkomme. Versuch nicht, mich zu erreichen.«
Typisch David. Kurz und knapp und ohne jegliche nützliche Information. Aber so leicht gebe ich nicht auf. Ich weiß, dass er eine Blockhütte oben in den Cuyamaca Mountains hat, und ich kenne die Handynummer des Nachbarn.
Der Mann, der sich um die Hütte kümmert, geht nach dem ersten Klingeln dran. Ich behaupte, ich sei Davids Mutter und es gäbe einen familiären Notfall. David hätte sein Handy abgeschaltet, und ob er wohl so freundlich wäre, zu ihm hinüberzugehen, damit ich mit ihm sprechen kann?
Ich habe den Menschen, zu dem die rauhe Stimme gehört, noch nie gesehen, bedanke mich aber wortreich, als er ja sagt. Gut zwei Minuten lang herrscht Stille, und ich stelle mir vor, wie der Mann etwa hundert Meter weit von seinem Haus zu Davids Hütte marschiert. Kein Smalltalk unterwegs. Das gefällt mir.
Dann höre ich, wie er an die Tür klopft und David erklärt, warum er ihn stört. Ein paar Sekunden später ist David dran. »Mom? Was ist passiert?«
»Äh, tut mir leid, David. Ich bin’s.« Schweigen. »Ich wollte mich vergewissern, dass es dir gutgeht. Es sieht dir gar nicht ähnlich, einfach zu verschwinden.«
»Nein, das ist eher dein Stil.«
Sein Tonfall ist barsch. Er ist wütender, als ich dachte. »Okay, das habe ich verdient. Ich gebe zu, ich bin ein paarmal von der Bildfläche verschwunden .... «
»Ein paarmal? Ich habe deine Privatsphäre immer respektiert. Ich dachte, du würdest ebenso höflich sein.« Seine Stimme zittert leicht. Vor Wut? Traurigkeit? Ich wünschte, ich könnte sein Gesicht sehen.
Ich warte noch einen Moment und sage dann: »Das mit Gloria tut mir leid.«
Das bellende Lachen, das aus dem Telefon dringt, hört sich eher ungläubig als belustigt an. »Natürlich. Dir tut es leid wegen Gloria, weil sie neuerdings deine beste Freundin ist.«
Okay, seine Einstellung geht mir allmählich auf die Nerven. »Es ist wohl kaum meine Schuld, dass du bis jetzt nicht erkannt hast, was für ein hinterhältiges Miststück sie ist.«
»Ja, das ist die Anna, die ich kenne und liebe. Du kannst stolz auf dich sein. Ich sehe Gloria sehr wohl als das, was sie wirklich ist. Ich habe sie schon immer so gesehen. Was du offenbar nicht kapierst, ist, dass mir das egal war. Ich liebe sie.«
Er unterbricht sich. »Ich habe sie geliebt. Das ist vorbei.«
»Warum bist du dann abgehauen?«
Er antwortet so lange nicht, dass ich schon glaube, er wollte dazu gar nichts sagen. Ich will ihn eben fragen, ob er noch da ist, als er leise sagt: »Weil ich es im Moment nicht ertrage, in deiner Nähe zu sein.«
»In meiner Nähe? Was zum Teufel soll das heißen?«
Diesmal zögert er nicht. »Das heißt, dass ich dein selbstgefälliges Gesicht nicht jedes Mal sehen will, wenn irgendetwas über Gloria in den Nachrichten kommt.« Es hört sich an, als würde er jedes Wort einzeln abbeißen und mir vor die Füße spucken.
»Du lässt dir doch keine Gelegenheit entgehen, mir unter die Nase zu reiben, was für ein Idiot ich war. Das kann ich im Moment nicht gebrauchen.«
Sein kleiner Wutausbruch bringt mich zum Schweigen. Was er da sagt, ist durchaus wahr. Ich habe mich über jede Minute geärgert, die er mit Gloria zusammen war, und das habe ich ihn auch wissen lassen. Jetzt hat er meine Antipathie zum ersten Mal offiziell zur Kenntnis genommen. Vorher hat er meine Abneigung gegen Gloria immer ignoriert oder Ausreden für sie vorgebracht. Ich dachte schon, die Sternchen vor seinen Augen hätten ihn blind und taub gemacht für jegliche Kritik an seiner egoistischen Freundin.
»Weißt du«, fährt er gleich darauf fort, »dass ich sie etwa ein Dutzend Mal gebeten habe, bei mir einzuziehen? Sie hatte immer irgendeinen Vorwand, warum das gerade nicht ging. Einen längeren Modelauftrag, einen neuen Film, das Restaurant. Mir ist erst jetzt klargeworden, dass es ihr um etwas anderes ging. Sie wollte sich nicht an mich binden. Sie wollte die Freiheit, auch anderen Interessen nachzugehen. Das erklärt immerhin, warum sie nicht da war, als ich im Krankenhaus lag, und warum sie mich auch danach nicht besucht hat. Sie war zu sehr mit Rory beschäftigt.«
Damit hat er vermutlich recht. Das Timing käme jedenfalls hin. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, um die schmerzliche Wahrheit ein bisschen abzumildern.
Es tut mir beinahe leid, dass ich ihn aufgespürt habe. Zum ersten Mal in unserer Partnerschaft bin
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