Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
deinem Partner sagst, dass du aufhörst, umso besser – dann kann er gleich Ersatz für dich suchen. Ruf ihn an. Sag ihm, dass etwas dazwischengekommen ist und du heute Abend nicht kannst.«
Ihre Vehemenz trifft mich unvorbereitet. Plötzlich fühle ich mich in die Zeit vor Trish zurückversetzt, als meine Eltern und ich nie zusammen sein konnten, ohne dass mein unpassender Beruf zum Thema hitziger Debatten wurde. Dass wir Trish retten mussten, hat diesen Konflikt eine Weile überlagert, aber bis zu diesem Augenblick war mir nicht klar, wie dicht unter der Oberfläche diese Bitterkeit noch steckt.
Trish zappelt auf ihrem Stuhl. Sie ist blass geworden und schaut ängstlich drein, als fürchte sie, dass Moms Ärger sich gegen sie richten könnte. Dass die negative Wendung, die der Abend genommen hat, irgendwie ihre Schuld sein könnte.
Mom bemerkt es auch und nimmt Trishs Hand. »Es tut mir leid, Schätzchen. Anna und ihr Dad und ich sollten das unter uns besprechen. Ich darf dir doch nicht den Abend verderben.«
Ohne mich anzusehen, fährt sie fort: »Tja, wenn du gehen musst, Anna .... Schade, dass du nicht mit uns dieses sicher hervorragende Essen genießen kannst. Aber in Frankreich werden wir als Familie viel Zeit zusammen verbringen.«
Dad springt auf und rückt mir den Stuhl beiseite, als ich aufstehe. Er drückt meine Schulter und küsst mich auf die Wange. »Komm morgen zu Hause vorbei. Dann unterhalten wir uns. Wir müssen Pläne schmieden.«
Der Kloß in meiner Kehle hindert mich an einer Antwort. Ich lächle Trish zu, die meinen Blick mit weit aufgerissenen, feuchten Augen erwidert.
Mühsam krächze ich: »Dann bis morgen, Trish. Versprochen.«
Mom verabschiedet sich nicht einmal von mir. Dad setzt sich wieder an den Tisch. Trishs Blicke folgen mir.
In meiner Brust bildet sich ein Riss, kalt und brü c hig wie Eis. Er dehnt sich immer weiter aus, bis er mein Herz schmerzhaft zusammendrückt.
Ich hätte mir nicht so viele Gedanken darum machen sollen, dass ich ihnen das Herz brechen könnte. Ich hätte mich mehr um mein eigenes Herz sorgen sollen.
Kapitel 26
Als ich Mister A’s verlasse, entdecke ich endlich den Verfolger, den Williams auf mich angesetzt hat.
Er sitzt an einem Tisch nicht weit von unserem.
Eine Gabel voll Salat ist auf halbem Wege zu seinem Mund, als ich an ihm vorbeirausche. Ich hätte ihn wahrscheinlich gar nicht bemerkt, wenn er nicht in derselben Sekunde aufgestanden wäre. Er zieht etwas Geld aus der Tasche, lässt es auf den Tisch fallen, wirbelt herum und eilt mir nach.
Das vertreibt die Traurigkeit aus meinem Kopf, zumindest für den Moment, und lässt meine Gefahrensensoren anspringen. Doch jeder Gedanke, den ich aussende, trifft ins Leere. Der Kerl ist ein Mensch.
Der besorgte Kellner folgt ihm, erkundigt sich, ob etwas nicht in Ordnung sei, und fragt, ob man ihm das bestellte Essen einpacken solle, damit er es mit nach Hause nehmen kann. Williams’ Mann beantwortet jede Frage mit einem barschen »Nein«.
Es wird noch peinlicher für ihn, denn als der Aufzug kommt – der gläserne Außenaufzug hinunter zum Parkplatz – bleibt ihm nichts anderes übrig, als zusammen mit mir einzusteigen. Sobald sich die Tür geschlossen hat, kann ich nicht mehr an mich halten. Ich breche in lautes Lachen aus.
Williams lässt mich nicht zum ersten Mal von einem Menschen beschatten. Das ist also nicht überraschend. Wenn der Mann gut ist (und bisher war er das), gibt es keine verräterischen Schwingungen, die mir auffallen könnten. Ein Vampir kann Barrieren errichten und die Übertragung von Gedanken verhindern, aber es besteht immer die Möglichkeit, dass diese geistige Wand durch irgendeine Ablenkung kurz ins Wanken gerät. Dann würde ich einen anderen Vampir sofort spüren. Andere Übernatürliche, Gestaltwandler zum Beispiel, strahlen eine telepathische Signatur aus, die sogar noch stärker ist.
Hier stehe ich also im Aufzug mit dem Sterblichen, der mich beschatten soll, und lache wie eine Irre. Er besitzt genug Größe, um mitzulachen.
»Ich dachte, Sie würden den Abend mit ihrer Familie verbringen«, sagt er. »Jetzt habe ich es wohl vermasselt.«
»Das haben Sie.« Ich drehe mich zu ihm um und strecke ihm die Hand hin. »Ich bin Anna. Aber das wissen Sie schon, nicht wahr?«
Er ergreift meine Hand. Sein Händedruck ist fest, warm und trocken, wie sich nur die Hand eines Sterblichen anfühlen kann. Er zieht sie nicht zu-rück oder reagiert sonst irgendwie darauf,
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