Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
Oberschenkel. Ich wähle dazu acht Zentimeter hohe Riemchenpumps von Jimmy Choo. Die habe ich mir gekauft, weil die Verkäuferin im Schuhgeschäft gesagt hat, ich hätte hübsche Füße und schlanke Fesseln, und die Schuhe brächten sie zur Geltung. Das Kleid ist also kurz, die Hacken sind hoch.
All das für einen kurzen Abend mit meinen Eltern?
Natürlich nicht.
Ich kann mir nichts vormachen, und ebenso wenig kann ich meine Gefühle ändern. Mein Blut kocht. Das lange Warten ist beinahe unerträglich. Dass das, was ich da denke, völlig verrückt ist, dämpft meine wachsende Lust auch nicht.
Ich versuche gar nicht mehr, das zu verstehen oder zu erklären, sondern erlaube mir jetzt, es einfach zu genießen. Es ist lange her, seit ich diese gespannte Erwartung zuletzt erlebt habe.
Ich streiche mit beiden Händen über die Konturen meines Körpers, und die Seide fühlt sich unter meinen Fingern kühl, fließend und sinnlich an.
Dieses Kleid ist für das, was nach dem Treffen mit meinen Eltern kommt.
Für meinen Abend mit Sandra.
Und da es nach dem heutigen Abend vorbei sein wird, warum sollte ich es nicht genießen?
Kapitel 25
Mister A’s liegt im obersten Stock eines Gebäudes an der Fifth Avenue. Von Thanksgiving bis Silvester ist das gesamte Gebäude von oben bis unten mit Adventsbeleuchtung dekoriert. Diese knallige, schrill übertriebene Weihnachts-Lightshow ist in San Diego zu einer Tradition geworden. Zum ersten Mal seit Jahren bringt sie mich zum Lächeln. Als mein Bruder und ich noch Teenager waren, hatten wir eine Familientradition: Wir fuhren jedes Jahr durch den Balboa Park, um den Weihnachtsmann und seine Rentiere zu sehen, und gingen dann hier essen und betrachteten die Lichter.
Ich war schon seit Jahren nicht mehr im Mister A’s zum Essen. Meine Eltern auch nicht, soweit ich weiß. Dass Dad dieses Restaurant ausgesucht hat, um heute zu feiern, zeigt mir, was Trishs Gegenwart der Familie zurückgegeben hat.
Drei Geschäftsleute warten mit mir auf den Aufzug zum Restaurant. Falls ich noch Zweifel gehabt hätte, wie ich in dem Kleid aussehe, wären die jetzt vollständig zerstreut von den langen, gierigen Blicken, mit denen die Männer mich mustern. Sie würden mich offenbar gern auf der Speisekarte sehen, serviert auf einem Bett von .... ich glaube, das wäre ihnen egal, solange es nur ein Bett ist.
Mein Vater reißt zum Spaß die Augen auf, als ich das Restaurant betrete, und kommt mir ein Stück entgegen. »Ich hätte dich beinahe nicht erkannt«, sagt er.
»Ich habe dich noch nie in einem Kleid gesehen, Tante Anna«, sagt Trish. »Ich wusste gar nicht, dass du eines hast. Vor allem so ein .... «
»Schon gut.« Ich hebe eine Hand. »Das reicht. Ihr bekommt mich nicht oft im Kleid zu sehen, okay. Aber sollte das nicht ein besonderer Abend werden?«
»Anna hat recht«, entgegnet Mom. »Und ich finde, dass du wunderschön aussiehst. Du solltest dich öfter schick machen. Wenn wir in Frankreich sind, gehen wir richtig schön Klamotten kaufen. Für dich und für Trish.«
»Ich hätte sehr gern so ein Kleid«, bemerkt Trish begeistert mit Blick auf mein Dekolleté.
»O nein«, sagt Mom lachend. »Dafür bist du viel zu jung. Anna und ich finden sicher etwas Passenderes für einen Teenager. Stell dir nur vor, wie das sein wird, Anna – Shoppen in Paris.«
Da begreife ich erst, dass sie von mir erwarten, mit nach Frankreich zu ziehen. Ich starre meine Mutter an. Vielleicht habe ich ihre Absicht falsch interpretiert.
Nein.
Es war in ihrer Stimme, und es ist jetzt in dem Blick, mit dem sie mich ansieht – mit einer Miene, die ausdrückt, dass niemand, der ganz bei Verstand ist, sich die Gelegenheit entgehen lassen würde, in einem Château in Frankreich zu leben. Nicht zu fassen, dass ich das nicht habe kommen sehen.
Schlimmer noch, mein Dad und Trish schauen mich mit dem gleichen Blick an.
Meine Schultern spannen sich an. Ich darf sie keinen Moment in dem Glauben lassen, es bestünde auch nur die geringste Chance, dass ich mit ihnen nach Frankreich übersiedele. Aber .... will ich diesen Kampf wirklich heute Abend ausfechten?
Nein. Ich will ihnen diesen Abend nicht mehr vermiesen als unbedingt nötig. Also setze ich ein strahlendes Lächeln auf. »Ihr seht aber auch alle sehr schick aus.«
Meine Mutter trägt einen cremeweißen, seidenen Hosenanzug mit einer Bluse in einem warmen Rosaton. Dad trägt Hugo Boss, anthrazitfarbenen Anzug, weißes Hemd, burgunderrote Krawatte. Trish sieht
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