Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
mir den Magen um, während gleichzeitig meine Libido verrücktspielt.
Das ist doch lächerlich. Vielleicht sollte ich mich einfach umdrehen und nach Hause fahren. Soll Sandra doch zu mir kommen, mich in meinem eigenen Revier treffen. Ich habe dieses letzte Kapitel noch nicht gelesen. Es wäre besser, zu warten, bis ich das erledigt habe. Und bis der verdammte Vollmond vorbei ist.
»Hallo, Anna.«
Die melodische Stimme schwebt durch die Luft, und ich blicke mich dümmlich um, weil ich einen Moment lang glaube, sie müsse sich hinter mich geschlichen haben. Dann setzt mein Verstand wieder ein, und ich erinnere mich an die Überwachungskamera über der Tür. Finster blicke ich in die schwarze Linse.
»Möchtest du mich vielleicht reinlassen?«
Sie lacht. »Natürlich. Ich wollte dich nur vorher warnen. Ich habe hier ein Haustier mit einem sehr ausgeprägten Beschützerinstinkt. Sei ein braves Mädchen, dann tut sie dir schon nichts.« Was zum Teufel .... ? Ein Haustier?
Die Tür geht nicht auf. Offenbar wartet sie auf meine Zusicherung, dass ich sie nicht angreifen werde, sobald ich sie sehe. Warum sollte ich auch?
Sie kapiert immer noch nicht, dass ich nicht vorhabe, ihr Averys Erbe streitig zu machen. Aber natürlich entgeht mir nicht, dass sie mich gerade bedroht hat. So etwas habe ich mir noch nie gefallen lassen.
»Entweder lässt du mich jetzt rein, oder ich fahre nach Hause. Mir ist das gleich. Wenn ich reinkomme, solltest du dein Haustier vielleicht an die Leine nehmen. Anscheinend hast du vergessen, wozu ich fähig bin. Avery hat übrigens denselben Fehler gemacht.«
Nach einem Moment des Schweigens öffnet sich die Tür.
Sandra steht vor mir, vom weichen Licht aus dem Kamin im Wohnzimmer hinterleuchtet. Plötzlich steht mir ein Bild von Avery vor Augen, der an genau derselben Stelle stand und mich hereinbat, während hinter ihm eine nette kleine Party lief. Mir ist schwindlig vor widerstreitenden Emotionen. Ich habe mir geschworen, nie wieder hierherzukommen. Der Schmerz, David in diesem Haus zu finden, der Kummer über Averys Verrat und eine verlorene Liebe bricht mit solcher Macht über mich herein, dass ich in Panik gerate.
Als hätte Sandra gesehen, was mir durch den Kopf geht, legt sie die Hand auf meinen Arm. »Ich verstehe, dass es schwierig für dich ist, das alles hier wiederzusehen. Ich verspreche, es wiedergutzumachen. Bitte komm herein, Anna. Wir haben viel zu besprechen.«
Die Berührung ihrer Hand und ihre Stimme dringen zu mir durch und reißen mich ins Hier und Jetzt zurück. Avery verblasst. Die Party verblasst.
Ich bin wieder in der Gegenwart und starre in die Augen einer Frau, die anscheinend in meiner Seele lesen kann wie in einem offenen Buch.
Aber das ist nur der erste Schreck.
Als ich wieder ganz bei mir bin und Sandra zum ersten Mal richtig ansehe, verfliegen all diese Gedanken vor schierem Unglauben. Sie trägt ein rotes Kleid. Ein Kleid von Badgley Mischka aus roter Seide mit tiefem Ausschnitt und hohen Seitenschlitzen. Das Kleid, das Avery mir vor unserer letzten Verabredung geschenkt hat. Das Kleid, das ich in einen Mülleimer gestopft habe, nachdem ich ihn getötet hatte.
Kapitel 29
Sandra tritt einen Schritt zurück und dreht sich um sich selbst. »Ist das nicht ein wunderschönes Kleid? Ich habe es oben in einem Schrank gefunden und konnte nicht widerstehen, ich musste es einfach anprobieren. Es steht mir gut, meinst du nicht auch?«
Die Augen sind zu weit aufgerissen, die Stimme ist zu atemlos, der unschuldsvolle Ausdruck auf dem lächelnden Gesicht zu überdeutlich, um echt zu sein. Sie weiß ganz genau, wessen Kleid das ist. Oder war. Wo hat sie es her? Als ich es zuletzt gesehen habe, lag es zusammengeknüllt im Mülleimer in Davids Wohnung.
»Wie bist du an dieses Kleid gekommen?«, bricht es wie ein Knurren aus mir hervor.
Diesmal zeigt ihr Gesicht ihre wahren Emotionen. Verschlagenheit. Triumph, weil es ihr gelungen ist, mich zu schockieren. Arroganz in der Überzeugung, dass sie jetzt die Oberhand hat.
Ein Irrtum.
Ich halte meine Stimme absichtlich leise. »Wie bist du an dieses Kleid gekommen, Sandra?«
Sie blinzelt und ist wieder ganz Unschuld. »Das habe ich dir doch schon gesagt, Anna. Es war oben in einem Schrank.« Sie lässt einen Herzschlag verstreichen und fügt dann hinzu: »Warum fragst du?« Sie hebt die Hand und streicht mit dem Zeigefinger zwischen ihren Brüsten abwärts. »Nein, sag nichts. War das dein Kleid? Hat Avery es für dich
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