Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
Staatsanwaltschaft über Glorias Selbstmordversuch informieren müsse. »Vielleicht weil die Leute es für eine Art Schuldeingeständnis halten könnten, dass Gloria Selbstmord begehen wollte.« Jetzt bin ich in Gedanken bei Laura, der eifersüchtigen Stiefmutter. Gloria die Demütigung eines Gerichtsprozesses anzutun wäre vermutlich genau ihr Stil.
»Wenn jemand Gloria aus dem Weg schaffen wollte, warum hat er sie dann nicht tatsächlich umgebracht, als er Gelegenheit dazu hatte?«
Ich zucke mit den Schultern. David weiß nichts über Jason und dessen Verdacht gegen seine Stiefmutter. Ich will erst mit Glorias Anwältin sprechen, ehe ich mich dazu äußere, also füge ich hinzu: »Vielleicht wollten diejenigen, die dahinterstecken, Gloria gar nicht ermorden. Sie wollten sie nur ins Gefängnis bringen. Wie auch immer, das war ein ungeschickter Versuch.«
Geradezu kindisch. Jason? Wie schwierig könnte es für ihn schon gewesen sein, frei verkäufliche Medikamente zu besorgen, zu Hause eine Flasche Whiskey zu klauen und eine Pagen-Uniform zu stehlen? Jeder schlaue Jugendliche hätte das geschafft. Aber eine Schlüsselkarte in die Finger zu bekommen, ist eine ganz andere Sache. Dazu hätte er schon sehr einfallsreich sein müssen.
Im Geiste schlage ich mir an die Stirn: Jason kann es nicht gewesen sein. Er war ehrlich besorgt um Gloria. Im Lestat’s hätte er mir das vielleicht vorspielen können, aber diese Szene vor dem Gerichtsgebäude? Da hatte er keine Ahnung, dass ich ihn beobachte. Er würde es nicht riskieren, dass Gloria etwas zustoßen könnte, falls der Plan schiefging.
»Anna?« Davids Stimme holt mich in die Gegenwart zurück. »Woran denkst du?«
Nichts, was ich dir erzählen möchte. Ich wende mich dem Krankenzimmer zu. Sieht so aus, als wollten Harris und die Anwältin gehen. Ich deute vage auf die Tür. »Hören wir erst mal, was Harris zu sagen hat.«
Harris geht bis zur Tür und tritt dann beiseite, um Jamie Sutherland den Vortritt zu lassen. Sie kommt heraus, ihre braunen Augen mustern mich gelassen, dann streckt sie mir die Hand hin. »Sie sind Anna Strong?«
Ich nicke und erwidere den Händedruck. Jamie Sutherland ist Mitte dreißig, groß, schlank, mit phantastischen Wangenknochen und aparten, aber ungleichmäßigen Gesichtszügen. Sie hat große Augen, eine zierliche, gerade Nase, einen großzügigen Mund mit etwas schmalen Lippen und üppiges schwarzes Haar.
Harris begrüßt mich mit einem Nicken, während er sein Notizbuch schließt und in die Jackentasche steckt. »Ich habe Miss Estrellas Aussage aufgenommen. Sobald der Arzt sie entlässt, kann sie gehen. Die Kautionsbedingungen bleiben die gleichen. Sie darf die Stadt nicht verlassen.«
»Aber jemand hat versucht, sie umzubringen.« Davids Tonfall ist streitlustig und aggressiv. Offensichtlich haben er und Harris sich während meiner Abwesenheit nicht versöhnt.
Harris lässt sich nicht darauf ein. Schlimmer noch, er ignoriert David vollkommen. Stattdessen sieht er Jamie Sutherland an. »Frau Anwältin, wir hören voneinander?« Als sie nickt, geht er um uns herum zum Ausgang.
David sieht aus, als wollte er ihm nachstürmen. Ich lege ihm eine Hand auf den Arm und halte ihn zu-rück. »Geh du zu Gloria«, sage ich. »Ich will mit Miss Sutherland sprechen.«
Er schüttelt meine Hand ab, widerspricht aber nicht. Mit einem ärgerlichen Brummen schiebt er die Tür auf und tritt ein.
Sutherland wirft mir ein schiefes Lächeln zu. »Na, so was. Sieht aus, als wäre es endlich jemandem gelungen, die Ryan-Bestie zu zähmen.«
Das ist eine seltsame Bemerkung, und die angedeutete Vertrautheit mit David verblüfft mich. »Sie und David .... ?«
Sie lacht. »Nein. Kein Ex-Freund. David und ich kennen uns von der Notre Dame. Er war im Abschlussjahr, ich hatte mein Jurastudium gerade erst angefangen. Wir hatten gemeinsame Freunde, das ist alles. Aber dieser Jähzorn! Seine aufbrausende Art hat ihn mehr als einmal in Schwierigkeiten gebracht.«
Sieh einer an. Darüber will ich unbedingt mehr erfahren. Später. Im Augenblick will ich ihr von der Waffe erzählen und dafür sorgen, dass Gloria aus unserem Leben verschwindet.
»Wollen wir einen Kaffee trinken?«, schlage ich vor. Statt einer Antwort bedeutet sie mir, vorauszugehen. Auf dem Weg zur Cafeteria im Keller des Krankenhauses und dann bei einer Tasse Kaffee berichte ich ihr von meiner Unterhaltung mit Jason und den Funden in seinem Haus.
Ich erzähle ihr nicht alles. Ich bleibe
Weitere Kostenlose Bücher