Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
steht, ist Schmerz. Er dreht sich um, ohne auf meine Anwesenheit zu reagieren, und geht mit dem gleichen langsamen, schlurfenden Schritt zum Haus zurück. Die Szene kommt mir schrecklich bekannt vor. Ich weiß, was er empfindet. Ich sehe es in den kummervollen Falten in seinem Gesicht. Ich spüre es in seinem schweren, bedrückten Geist. Ich erkenne die unerträgliche Trauer, die wie Blei auf ihm lastet und den Schmerz des Verlustes zum einzigen Gefühl macht, zu dem er noch fähig ist.
Ich weiß das, weil ich all das selbst schon durchgemacht habe. Als mein Bruder gestorben ist. Ich warte nicht ab, was als Nächstes passiert. Das ist nicht nötig. Maddie ist tot, und dies ist praktisch der Anfang ihres Trauerzugs. Was zum Teufel treibt Burke eigentlich? Diesmal rufe ich doch Williams an. Er nimmt beim zweiten Klingeln ab.
»Was hast du von der Empfangsdame erfahren?«, fragt er anstelle einer Begrüßung.
»Ich war noch nicht da«, antworte ich und berichte ihm, was ich festgestellt habe. Dann sage ich: »Würden drei Leichen die Sache in den Augen eines Richters vielleicht von einem Zufall zu einer Art Tatverdacht anheben?«
»Du weißt noch gar nicht, ob Storm und Coleman wirklich tot sind.«
»Komm schon. Wie stehen die Chancen, dass sie noch leben?«
Kurzes Schweigen. »Ich überprüfe das. Bis dahin nimmst du dir lieber diese Rezeptionistin vor.«
Wir legen auf, und ich starte den Jaguar und fahre zurück in Richtung Freeway – gerade rechtzeitig, um im morgendlichen Berufsverkehr zu landen. Scheiße. Ich stecke im Stau und bekomme das Bild des Mannes, als er die Auffahrt entlangschlurfte, nicht mehr aus dem Kopf. Wut brennt wie Säure in mir. Burke steckt dahinter. Warum? Und was für ein Zusammenhang besteht zwischen dem, was sie diesen Frauen antut, und dieser wundersamen Anti-Aging-Creme, die sie demnächst auf den Weltmarkt werfen will?
Weltmarkt. Himmel. Am liebsten hätte ich den Kopf aufs Lenkrad geschlagen. Was bin ich für eine Idiotin. Es gibt noch jemanden, der ein paar Antworten für mich haben könnte. Ich will diesen Jemand nicht fragen, aber ich muss.
Gloria. Werbeträgerin von Eternal Youth. Bei ihr weiß ich jedenfalls, wie ich die nötige Information aus ihr herausschütteln kann. Beiläufig frage ich mich – hat sie das Zeug auch benutzt?
Kapitel 23
Wenn Gloria in San Diego ist, steigt sie im Four Seasons ab, im Penthouse. Der Hotelangestellte, der meinen HandyAnruf entgegennimmt, weigert sich, mich durchzustellen. Sein Tonfall lässt durchblicken, dass Ihre Majestät nicht gestört werden möchten.
Ich schlucke den Impuls herunter, etwas sehr Unhöfliches zu sagen, und lege ein hoffnungsvolles Lächeln in meine Stimme, als ich erwidere: »Hören Sie, ich verstehe Sie ja. Wenn Sie schon eine Weile im Hotel arbeiten, erinnern Sie sich bestimmt daran, dass Gloria vor ein paar Monaten ein Problem mit der Polizei hatte. Mein Name ist Anna Strong. Ich habe ihr damals geholfen. Wenn Sie bitte oben in ihrem Zimmer anrufen und sie fragen würden – ich bin sicher, sie wird den Anruf annehmen.« Und wenn nicht, fahre ich da rüber, klettere an der verdammten Fassade hoch und reiße Gloria jedes getrimmte Schamhaar einzeln aus.
Der Angestellte erklärt sich endlich bereit, es zu versuchen. Er legt mich auf Warteschleife. Da hänge ich zwei Minuten lang. Das weiß ich so genau, weil ich die Zeit nehme und mir überlege, wie ich mich für jede einzelne Minute rächen werde, wenn das Miststück sich weigert, meinen Anruf entgegenzunehmen. Die Fahrstuhlmusik, die ich während dieser unendlichen Warteschleife ertragen muss, bricht plötzlich ab, und ich höre ein Klingelzeichen. Vielen herzlichen Dank.
Es wird abgenommen. »Hallo?« Das ist eine Männerstimme. Oder jedenfalls eine männliche Stimme – eine verschlafene, erotische, unglaublich jung klingende männliche Stimme.
»Hier ist Anna Strong. Ich möchte Gloria sprechen. Ist sie da?« Keine Antwort.
»Hallo? Ich möchte bitte Gloria sprechen. Ist sie da?«
Diesmal schnurrt die Stimme: »Ms. Estrella schläft noch. Sie sollten sie lieber nicht stören. Wenn Sie mir sagen, worum es geht…« Jetzt verstehe ich. Gloria leitet dieses Gespräch, irgendwo im Hintergrund. So, wie sich die männliche Stimme anhört, liegen sie vermutlich im Bett.
»Hör mal, du Idiot, es ist mir egal, ob Ms. Estrella schläft. Gib sie mir sofort, sonst komme ich da rauf und sorge dafür, dass du ziemlich lange niemanden mehr vögeln wirst. Frag Gloria.
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