Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
dass nicht von ihm verlangt wird, eine Leiche zu beseitigen. Je schneller er Sophie lebend in dieses Flugzeug setzt, umso angenehmer für ihn.
Das Schweigen gibt mir Gelegenheit, Sophie zu studieren. Da ist etwas an ihr – irgendeine unerklärliche Besonderheit –, das sehr ungewöhnlich wirkt. Hin und wieder hat sie so einen Ausdruck auf dem Gesicht, der für mich so aussieht, als lauschte sie – aber was? Sie wendet sich dann ganz nach innen. Wenn sie ein Vampir wäre, würde ich glauben, dass sie Turnbulls oder meine Gedanken liest. Sie ist aber keiner, da bin ich ganz sicher.
Das hätte ich im ersten Augenblick erkannt. Sie war erschrocken über mein Erscheinen und hatte gar keine Chance, übersinnliche Barrieren zu errichten. Das ist mir unheimlich. Könnte Sophie Deveraux eine Art Psychose haben? Hört sie solche Stimmen? Sie wusste, dass Tremaine in Wahrheit Burke ist. Sie wusste von den Todesfällen durch die Creme. Sie behauptet, das Ganze sei ihre Idee gewesen und die ihrer Schwester.
Meine Hände ballen sich zu Fäusten. Es juckt mich in den Fingern, im Flugzeug endlich mit ihr allein zu sein und herauszufinden, was sie sonst noch weiß.
Der Jet ist startklar, als wir auf dem Flugfeld halten. Ich verabschiede mich von Turnbull. Das dauert nicht lange. Er ist heilfroh, mich und Sophie loszuwerden. Ich bedanke mich für seine Hilfe, und zwar aufrichtig. Er hat mir das Herumfummeln an einem Navigationsgerät in einem Mietwagen erspart.
Er ist weg, ehe wir abheben. Er lädt mich auch nicht ein, wieder mal vorbeizuschauen. Sobald wir an Bord sind, lässt Sophie sich in einem Sessel nieder und schnallt sich an. Sie ist weder neugierig auf das Flugzeug, noch wirkt sie davon beeindruckt. Vermutlich hat sie genauso eines.
Lawson kommt in die Kabine, um uns zu begrüßen. Er erzählt uns etwas über das Wetter und erklärt, wir würden in zehn Minuten starten.
Ich warte, bis wir in der Luft sind und sein Okay bekommen, uns in der Kabine frei zu bewegen. Ich sage ihm, dass wir nichts brauchen und nicht gestört werden wollen. Dann öffne ich meinen Sicherheitsgurt und drehe meinen Sessel herum, so dass ich dem Mädchen gegenübersitze. »Fangen wir ganz von vorne an. Wer sind Sie?«
Sophie richtet sich in ihrem Sessel auf. Resolut blicken ihre blauen Augen in meine. »Früher hieß ich Sophie Burke. Belinda ist mein Schwester.«
»Sie nennen sich Sophie Deveraux. Jonathan Deveraux war ein Vampir. Sie haben eine neue Identität angenommen und sich als Erbin seines Vermögens ausgegeben. Warum?«
Wenn sie tatsächlich die Schwester von diesem Miststück ist, vermute ich, dass sie sich irgendwie von der schwarzmagischen Hexe distanzieren wollte. Stattdessen lächelt Sophie. »Schwarzmagische Hexe. Ja, das ist sie. Aber ich bin nicht ihretwegen Sophie Deveraux geworden.«
Ich fahre in meinem Sessel hoch. Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr. Sie hört tatsächlich Stimmen. Meine hat sie jedenfalls gehört. Was sind Sie?
Was glaubst du denn, was ich bin? Die Stimme klingt männlich und hat einen leichten SüdstaatenAkzent, wie bei Turnbull. Sie kommt aus Sophies Innerem, aber es ist nicht Sophie, die mit mir spricht. Von einem eisigen Schauer bekomme ich eine Gänsehaut an den Armen.
Die Erinnerung an eine andere männliche Stimme, die aus einem weiblichen Körper zu mir gesprochen hat, stößt mich in einen Alptraum hinein. Avery. Damals war es Avery, und die Frau war Sandra.
Vor Grauen sitze ich da wie angewurzelt. Ich bin in zwanzigtausend Fuß Höhe mit etwas eingesperrt, das ich nicht identifizieren kann, und ich gerate allmählich in Panik. Hat Avery es ein zweites Mal geschafft? Ist er Sandra irgendwie entkommen? Sitzt er jetzt hier in seinem eigenen Flugzeug, um sich an mir zu rächen?
Wer ist Avery? Ich dachte, du wärst das große Ungeheuer. Diesmal schwingt Neugier in der Stimme mit und ein wenig Belustigung. Es lacht mich aus. Keine gute Idee. Wut verdrängt meine Panik, sprengt die Schale aus Angst, die mich gelähmt hat, und lässt den Vampir in mir hervorbrechen.
Ein Knurren und Fauchen dringt aus dem finsteren Teil von mir, der fest entschlossen ist, sich zu verteidigen. Ich frage dich ein letztes Mal. Was bist du?
Sophie ist diejenige, die nach kurzem Zögern antwortet: »Es tut mir leid, Ms. Strong«, sagt sie still und resigniert. »Ich hätte es Ihnen sagen müssen.«
Sie weist mit einer weichen Geste an ihrem Körper herab. »Ich bin hier drin nicht allein. Sie haben mit meinem Alter
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