Anna Strong Chronicles 06 - Gesetz der Nacht
Schwachsinn reinzufallen?
Lance spannt sich an. Ärger verdüstert seinen Blick und lässt seinen Mund hart wirken. Er stößt mich von sich und schwingt die Beine aus dem Bett.
Sofort bereue ich meine Worte. In Wahrheit weiß ich überhaupt nichts über die Umstände, unter denen Lance zum Vampir wurde. Ich wurde ohne mein Einverständnis verwandelt. Vielleicht war es bei ihm auch so. Ich schaue ihm nach, als er im Bad verschwindet. Er knallt die Tür zu, und ich höre die Dusche rauschen. Ein paar Minuten später ist er wieder da, in Jeans und T-Shirt. Ich springe aus dem Bett und fange ihn ab, ehe er die Tür erreichen kann.
Es tut mir leid. Er bleibt stehen, aber nur, weil ich ihm den Weg versperre. Ich sehe ihm an, dass er gegen den Drang ankämpft, mich beiseitezustoßen. Ich hebe entschuldigend die Hand. Es tut mir ehrlich leid. Ich hatte kein Recht, so etwas zu sagen. Seine Schultern bleiben steif. Bitte. Ich möchte mehr darüber hören. Ich will die Verbindung zwischen dir und diesem Mann verstehen. Das ist mehr als die Beziehung zwischen einem Meister und seinem Abkömmling. Du hast dich von Julian auspeitschen lassen wie ein Tier und warst bereit, die Narben für immer zu tragen. Das möchte ich unbedingt verstehen.
Lance tritt einen kleinen Schritt zurück. Ich kann dir nicht erzählen, warum das passiert ist. Das werde ich dir nicht sagen. Ich kann dir nur eines sagen: Indem ich dir erlaubt habe, mir zu helfen, gibt es für mich vielleicht kein »für immer« mehr. Nicht nach dieser Sache.
Nach was für einer Sache? Herrgott noch mal, Lance, sag es mir. Wenn nicht, das schwöre ich dir, werde ich ihn mir vornehmen. Ich werde ihn dazu bringen, es mir zu sagen. Und wenn er nicht will, bringe ich ihn um.
Lances Mundwinkel hebt sich zu einem schwachen Lächeln. Du hast ohnehin vor, ihn umzubringen, nicht wahr?
Dann hast du nichts zu verlieren, wenn du es mir erzählst, oder?
Himmel, Anna. Seine Miene ist wieder todernst. Du magst sehr stark sein, aber glaubst du wirklich, du könntest es mit einem fünfhundert Jahre alten Vampir aufnehmen? Und du hast es selbst gesagt: Er ist mehr als ein Vampir, er kann Magie wirken.
Ich sehe an seinem angespannten Kiefer, dass diese Diskussion zu nichts führen wird. Erzähl mir wenigstens, wie er dich verwandelt hat. Meine Geschichte kennst du.
Sein Gesichtsausdruck macht deutlich, dass er ein Ablenkungsmanöver erkennt, wenn er eines sieht. Seine Gedanken bestätigen das, doch zu meiner Überraschung dreht er sich um und setzt sich auf die Bettkante. Du solltest dich auch setzen, sagt er. Das könnte eine Weile dauern. Dann fügt er laut hinzu: »Wollen wir erst Adele bitten, uns einen Kaffe zu bringen? Ich rieche, dass sie welchen gekocht hat.«
Ich nicke, und er greift zum Haustelefon, gibt seinen Wunsch durch und legt wieder auf. »Sie kommt gleich rauf.«
»Dann ziehe ich mich mal lieber an.«
Ich bin froh um die Gelegenheit, meine Gedanken zu sammeln. Doch während ich in Shorts und ein T-Shirt schlüpfe, stelle ich fest, dass meine Gedanken das Letzte sind, womit ich mich befassen will. Denn dann würde ich darüber nachdenken müssen, was in diesem Schlafzimmer passiert ist, und das bringe ich nicht fertig. Also lausche ich stattdessen. Ich höre Adele an die Tür klopfen, höre zu, wie sie und Lance sich über den vergangenen Abend unterhalten – er erzählt ihr eine stark abgewandelte Version –, und ich höre das leise Klirren, mit dem das Kaffeetablett arrangiert wird. Ich warte, bis ich die Tür hinter ihr ins Schloss fallen höre, ehe ich den Raum wieder betrete. Lance schenkt gerade zwei Tassen Kaffee ein. Er hat die Bettdecke bis hoch über die Kissen gezogen, um das Blut zu verstecken. Als er mich sieht, blickt er auf. »Adele wünscht dir auch einen guten Morgen.«
Ich nehme die Tasse aus seiner ausgestreckten Hand und weiche seinem Blick aus, während ich daran nippe. Kona-Kaffee. Köstlich. Wir nehmen wieder unsere Plätze auf der Bettkante ein. Ich sehe Lance nicht an und dränge ihn auch nicht. Ich weiß, dass er anfangen wird, wenn er dazu bereit ist.
Und das tut er auch. Er leert seine Tasse und lässt sich mit dem Rücken ans Kopfteil des Bettes sinken.
»Ich bin neunzehnhundertfünfundzwanzig in Südafrika auf die Welt gekommen. Auf dem Anwesen meiner Familie. Du weißt ja, womit wir reich geworden sind. Sobald ich alt genug war, um zu verstehen, wie der Abbau von Diamanten tatsächlich abläuft, fing ich an, unser Geschäft zu
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