Anna Strong Chronicles 06 - Gesetz der Nacht
töten – könnte schon ein guter Anfang sein. Aber Lance ist emotional völlig fertig. Das Wichtigste ist jetzt, dass ich mich um ihn kümmere. »Fahren wir zurück nach San Diego.«
Lance schüttelt den Kopf. »Das wird nichts nützen. Er will dich. Er wird nicht nachlassen, und er wird nicht aufgeben. Er braucht dich. Es ist bald so weit. Die Prophezeiung wird sich erfüllen, und du bist diejenige, die es möglich machen wird.«
Lances Worte treffen mich wie Steine aus einer Steinschleuder. »Das verstehe ich nicht. Wovon sprichst du? Wann mache ich was möglich? Du redest totalen Unsinn.«
Als Lance mich diesmal anschaut, ist der düstere Ausdruck aus seinem Gesicht gewichen, sein Blick ist klar. »Du bist die Eine.«
O Gott. Ich schließe die Augen. Nicht auch noch Lance. Das ganze letzte Jahr lang durfte ich mir diesen Blödsinn von diversen Leuten anhören, die mich offenbar für irgendeine Art Super-Vampirella halten. Das ist der Grund dafür, dass Avery mir so viel Aufmerksamkeit gewidmet hat und Williams mich partout nicht in Ruhe lassen will. Ich hasse das. Bisher war Lance der einzige Vampir, der mich nie gedrängt hat, dieser lächerlichen Behauptung nachzugehen. Bis jetzt.
Lance packt mich bei den Schultern und starrt mir in die Augen. »Underwood weiß es, Anna. Deshalb hat er mich ja zu dir geschickt.«
» Er hat dich zu mir geschickt?« Ich schüttele den Kopf.
»Nein, Culebra hat dich geschickt. Ich erinnere mich genau. Das war in dieser Bar, im Glory’s. Du hast gesagt, Culebra hätte dich geschickt.«
Etwas blinkt in Lances Augen auf – Scham, Kummer, Reue. Und die Lüge. Er wendet den Blick ab. Es war nicht Culebra. Julian hat mich geschickt. Er und Warren Williams.
Kapitel 15
Nein. Das darf nicht wahr sein.
Ich springe auf, weg von Lance. Ich will ihn nicht anschauen und traue mir selbst nicht, wenn ich ihm so nahe bin. Ich fühle alles, was er empfindet. Ein Wirbelsturm widerstreitender Emotionen. Das spielt keine Rolle. Denn mit der Reue, der Angst, der Liebe vermischt sich auch alles, was er mir verheimlicht hat.
Die Lüge, dass Culebra ihn vor so vielen Monaten als Ablenkung zu mir geschickt hat. Dass Underwood und Williams zusammengearbeitet haben. Sie wollten, dass jemand mir ganz nahe kommt. Jemand Übernatürliches. Jemand, den sie kontrollieren können. Jemand, zu dem ich mich hingezogen fühlen würde. Und sie haben mir Lance geschickt.
Galle brennt in meiner Kehle. Ich halte mir den Bauch und habe das Gefühl, würgen zu müssen. Wie konnte ich so naiv sein? Ich denke an Unterhaltungen mit Culebra zurück, über Lance – ich habe ihn nicht ein einziges Mal darauf angesprochen, woher er Lance kenne. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen. Es war mir egal. Ich war leichtgläubig und habe Lance so begierig angenommen wie ein Hund ein saftiges Steak. Oh, und wie dieser Drecksack Williams mit mir gespielt hat.
Er hat sich über meine Beziehung zu Lance lustig gemacht und mich dazu getrieben, sie zu verteidigen. Je mehr er darüber herzog, desto wahrscheinlicher war es, dass ich bei Lance bleiben würde, und das wusste Williams genau. Und ich bin geblieben. Herrgott. Ich könnte heulen vor Wut.
Ich muss hier raus. Wo ist mein Autoschlüssel?
Hektisch schieße ich im Zimmer hin und her. Mein Kopf, mein Magen, mein Blut stehen in Flammen. Ich wische alles Mögliche vom Nachttisch, Lances Tasse, ein Buch, die Lampe. Das Klirren von teurem Porzellan stillt meinen Durst nach Vergeltung noch lange nicht. Ich packe eine Truhe am Fußende des Bettes und gebe ihr einen so heftigen Stoß, dass sie gegen die Wand kracht. Nicht einmal das Splittern von Holz und der herumspritzende Putz sind genug. Die Wut lässt das Tier an die Oberfläche springen.
Ich spüre, dass Lance sich auf mich zu bewegt, und ich wirbele zu ihm herum. Er bleibt stehen, denn er sieht es in meinem Gesicht. Gefahr. Das Tier, rasend vor Wut, verraten. Ein verletztes Tier. Er tritt langsam zurück.
Endlich entdecke ich meinen Schlüsselbund und die Handtasche auf einem Stuhl. Da, wo ich sie letzte Nacht hingeworfen habe, nachdem ich Lance gefunden hatte. Letzte Nacht. Daran darf ich jetzt nicht denken. Ich darf an überhaupt nichts denken außer daran, schnell hier wegzukommen.
Lance versucht, mich zur Vernunft zu bringen. Er breitet die Arme aus. Er gebraucht Wörter wie Gefahr und Risiko, Vorsicht und Sicherheit. Leere Worte von weit, weit weg, die in meinem Kopf herumwirbeln wie Blätter im Sturm. Er will
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