Anna Strong Chronicles 06 - Gesetz der Nacht
und her zu laufen und mich zu fragen, warum ich noch nichts von Williams gehört habe.
Um sechs Uhr schließe ich ab und fahre nach Hause. Lance ruft mich unterwegs an. Er will wissen, ob es mir gutgeht, ob ich etwas von Williams oder Underwood gehört habe und ob er lieber doch heute Abend nach Hause kommen soll. Ich antworte mit Ja, Nein und Nein. Er sagt mir, dass er später noch einmal anrufen wird. Und dass er mich vermisst.
Ich vermisse ihn auch. Ich vermisse sein Lächeln und das Gefühl, wie unsere Körper zusammenpassen. Ich vermisse seine Nähe schon den ganzen Tag. Ich will heute Nacht nicht allein schlafen. Ich glaube, ich will nie wieder allein schlafen. Auf einmal ist da ein Loch in meinem Leben, das nur er füllen kann. Ich vermisse ihn so sehr, dass es weh tut.
»Anna?«, fragt er nach einigen Sekunden des Schweigens. »Bist du noch da?«
Ich blinzele und reiße mich zusammen. »Ja. Du fehlst mir auch.« Es ist nach Mitternacht. Williams hat immer noch nicht angerufen.
Furcht verdrängt die nervöse Gereiztheit, die mir den ganzen Tag keine Ruhe gelassen hat. Da stimmt etwas nicht. Auf gar keinen Fall würde Williams mich derart zappeln lassen. Er hat zu lange darauf gewartet, mich unter die Fuchtel zu kriegen. Ich rufe ihn auf dem Handy an. Schon wieder. Mit demselben Ergebnis. Schon wieder. fünfmal Klingeln, dann die Mailbox.
Ich werfe mein Telefon aufs Bett. Ob ich es bei ihm zu Hause versuchen sollte?
Ich schlurfe nach unten. Seine Privatnummer ist in meinem Festnetztelefon gespeichert. Er hat hier ein, zweimal von dieser Nummer aus angerufen, nie von einem Handy. Ich suche nach der Nummer und drücke auf Wählen.
Es wird so blitzschnell abgenommen, dass ich nicht einmal das Klingelzeichen höre. »Warren?« Eine Frauenstimme. Eine Stimme, die ich kenne. Der Knoten in meinem Magen zieht sich fester zusammen.
»Nein. Tut mir leid, Mrs. Williams. Hier ist Anna Strong.«
Eine lange Pause entsteht. Sicher muss sie erst die gleiche emotionale Reaktion verdauen wie ich. Wir haben uns zuletzt bei Ortiz’ Beerdigung gesehen. Sie hat unmissverständlich deutlich gemacht, was sie von mir denkt – dass ich meine Gemeinschaft verraten und ihren Mann beinahe umgebracht habe, um eine Hexe zu retten. Sie hat mir vorgeworfen, ich hätte einen Krieg gegen Unschuldige angezettelt, und das verstehe ich jetzt noch weniger als damals. Auch so eine Frage, deren Antwort ich mir von dieser Allianz mit Williams erhofft habe.
Ich warte noch einen Moment ab, ehe ich frage: »Sie haben nichts von ihm gehört?«
Sie gibt einen erstickten Laut von sich, als hätte es ihr die Kehle zugeschnürt. »Nein. Wenn Sie irgendetwas wissen – falls Sie wissen, wo er ist... « Aus ihrer Stimme klingen Verzweiflung und Angst. Als ich nicht gleich antworte, schlagen sie in Zorn um. »Verdammt, Anna. Was haben Sie jetzt wieder getan, es sich anders überlegt?« Wieder gibt sie mir kaum eine Chance, ihr zu antworten. »Er hat mir gesagt, dass er mit Ihnen gesprochen hat. Dass Sie sich mit ihm geeinigt hätten. Er war so zuversichtlich, dass Sie sich jetzt endlich kooperativ zeigen würden. Wenn das ein Trick war und Sie ihm irgendetwas angetan haben, dann werde ich Sie zur Rechenschaft ziehen, das schwöre ich.«
Es würde wohl nichts ändern, wenn ich ihr sagte, dass Williams und ich tatsächlich eine Abmachung getroffen haben. Sie hat keinen Grund, mir zu glauben. Für sie ist es besser, wütend zu sein als halb verrückt vor Sorge. Angst lähmt. Besser, sie hegt ihren Zorn. Zorn macht zielstrebig, Zorn verleiht Kraft, Zorn hält die inneren Dämonen in Schach. »Es tut mir leid, dass ich Sie gestört habe, Mrs. Williams. Ich habe Ihren Mann gestern in Palm Springs gesehen. Er kommt sicher bald nach Hause. Bitte machen Sie sich keine Sorgen.«
Dumm. Hohle Phrasen. Wieder gibt sie diesen seltsamen Laut von sich – halb Japsen, halb erstickter Schluckauf. Erst als sie ohne ein weiteres Wort auflegt, wird mir klar, was er tatsächlich zu bedeuten hat.
Sie weint.
Kapitel 24
Ich lege mich nicht hin, versuche gar nicht erst zu schlafen. Stattdessen tigere ich die ganze Nacht lang hin und her. Irgendetwas ist furchtbar schiefgegangen. Ich kann nicht sagen, was. Ich weiß nur, dass es irgendetwas mit Williams und Underwood zu tun hat. Und das kann nicht gut sein.
Lance glaubt, ich hätte den Verstand verloren. Ich habe ihn in den frühen Morgenstunden dreimal angerufen und behauptet, ich wolle nur seine Stimme hören. In
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