Anna Strong Chronicles 06 - Gesetz der Nacht
Aktentasche und lässt mich mit einem Blick wissen, dass er das Buch damit in Sicherheit bringen will... vor mir. Dann schiebt er die mit Bier getränkten Seiten zu einem nassen Haufen zusammen. »Ich habe mir einige Notizen darüber gemacht, was meiner Meinung nach in der Nacht deines Antritts geschehen wird.«
»Antritt?« Ein weiteres Wort, das mir schrillen Protest entlockt. »Bin ich vielleicht der neueste aufstrebende Stern im Vampir-Boxring? Das meinst du doch nicht ernst.«
»Todernst«, sagt er mit einer Inbrunst, die schon fast an Wahn grenzt. »Also, willst du jetzt hören, was ich herausgefunden habe, oder wirst du mich weiterhin nach jedem Satz unterbrechen?«
Culebra legt auf dem Tisch die Hände über meine. »Ich will das hören«, erklärt er. »Anna ist jetzt fertig mit Unterbrechen, nicht wahr?«
Ich schüttele den Kopf. Dafür, dass du möglicherweise mit der Auserwählten sprichst, lässt du es ziemlich an Respekt mangeln.
Er grinst. Ab Dienstag kannst du mich vielleicht mit einem Blitz erschlagen. Bis dahin ist das hier meine Bar. Er nickt in Freys Richtung. »Nur zu. Wir sind ganz Ohr.«
Kapitel 36
Der Lehrer in Frey schlägt durch. Er steht auf und nimmt eine breitbeinige Pose ein, als stünde er auf einem Podium, die Unterlagen in einer Hand. »Kannst du das nicht im Sitzen machen?«, brummele ich. Culebra bringt mich mit einem Zischen zum Schweigen.
»Also, ich habe die Ergebnisse meiner Nachforschungen in zwei Kategorien eingeteilt: die Zeremonie selbst, und was danach zu erwarten ist.« Er hält inne und wartet vermutlich darauf, dass ich ihn erneut unterbreche. Wozu die Mühe? Ich werde mir das anhören müssen, ob ich will oder nicht. »Dann klär uns mal auf.«
»Okay.« Er blättert in seinen Unterlagen. »Soweit ich die Schriften entziffern konnte, wird die Zeremonie am Montag um Mitternacht stattfinden. Die dreizehn Stämme werden je einen Abgesandten schicken, der daran teilnimmt.«
Tja, meine Selbstbeherrschung hält nicht lange vor. Jetzt muss ich ihn unterbrechen. »Stämme? Was für Stämme?«
Frey schaut nicht genervt drein. Im Gegenteil, er scheint sich über die Frage zu freuen. Als hätte ich endlich einmal die richtige gestellt. »Die vampirische Gemeinde ist in dreizehn Stämme eingeteilt. Jeder repräsentiert ein geographisches Gebiet. Das wären Nordamerika, Südamerika, Mittelamerika mit Mexiko und den Karibischen Inseln, Australien und Ozeanien, Europa, Afrika, der Nahe Osten, der Mittlere Osten, Zentralasien, Südostasien, China, Japan und Korea, Russland.«
»Ich soll also jetzt der oberste Boss von Nordamerika werden?«
»Nein. Du wirst der oberste Boss von allem.«
Nein, auf gar keinen Fall. Der Drang, vor diesem lächerlichen Szenario schreiend davonzulaufen, wird nur von der Erkenntnis gehemmt, dass Frey mir überallhin folgen würde. Er weiß schließlich, wo ich wohne. Ich könnte ihm ebenso gut erlauben, sein Märchen zu Ende zu erzählen. Sorgfältig achte ich darauf, dass mein Gesicht und meine Stimme nur eine gewisse Neugier ausdrücken, obwohl ich in Wahrheit nur noch Panik empfinde. Ich glaube, Frey steht kurz davor, endgültig den Verstand zu verlieren, und Culebra schwankt schon mit ihm am Abgrund.
»Warum habe ich noch nie etwas von diesen dreizehn Stämmen gehört?« Ich beglückwünsche mich selbst dazu, dass ich eine intelligente Frage zu einem so absurden Thema gestellt habe. Frey fixiert mich mit diesem Blick, den ich von Williams kenne. Der hat mir noch nie gefallen, und er gefällt mir auch jetzt nicht. Trotzdem halte ich den Mund und warte auf die Antwort.
»Williams hätte dir mit Freuden alles über Gesellschaft und Geschichte der Vampire erzählt. Aber du hast ihm ja keine Chance gegeben. Jetzt bleibt dir nichts anderes übrig, als etwas über deine eigene Art zu lernen. Die vampirische Gesellschaft ist recht dezentral organisiert. Jeder Stamm regiert sich selbst. Die dreizehn kommen nur zu bedeutenden Wendepunkten zusammen – wie dem Antritt einer Auserwählten. Diese Versammlung wird zugleich deine... « Er zögert, denn offenbar fürchtet er meine Reaktion auf das Ende dieses Satzes. »Tja, in Ermangelung eines besseren Wortes – deine Krönung sein.«
Seine Befürchtung war berechtigt. Noch ehe er die letzte Silbe über die Lippen gebracht hat, bin ich aufgesprungen.
»Das ist schon mehr als lächerlich. Frey, wir beide sind in kurzer Zeit sehr gute Freunde geworden. Du hast mich nie im Stich gelassen, wenn ich mich
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