Anna Strong Chronicles 06 - Gesetz der Nacht
mitmache, werden sie mich jagen und zur Strecke bringen. Wunderbar. Ganz wunderbar. Ich werde den Rest meines Lebens damit verbringen, ständig über die Schulter zu schauen. Da könnte ich mir ebenso gut gleich selbst einen Pflock durchs Herz stoßen.
Aber David ist irgendwo da draußen. Was auch immer diese durchgeknallte Kuh mir antun will, ich kann mich selbst schützen. David hingegen ist wehrlos. »Also, nichts von alledem ändert etwas daran, was wir jetzt tun müssen. Wir fahren zu Avery. Wenn ich mich irre und das Haus verlassen ist, können wir über den nächsten Schritt entscheiden.«
Er schlüpft aus seiner Jacke und lässt sie mitsamt der Aktentasche und dem Buch auf meinem Sofa liegen. Wir gehen durch den Hinterausgang hinaus und in die Garage. Auf der Fahrt nach La Jolla hat keiner von uns viel zu sagen. Ich habe immer noch Schwierigkeiten mit der Vorstellung, dass das Schicksal der Vampire in aller Welt in meinen Händen liegen soll. Aber die traurige Wahrheit lautet, dass viele da draußen offenbar davon überzeugt sind. Darunter auch die beiden Leute, auf deren Meinung ich am meisten gebe, seit ich zum Vampir geworden bin – Frey und Culebra.
Wenn ich klug wäre, würde ich vielleicht einfach aufgeben, mich dagegen zu wehren. Anscheinend strahle ich irgendetwas aus, dass Irre wie Underwood und weniger Irre wie Frey und Culebra etwas in mir sehen, das ich nicht sehe. Vielleicht sollte ich einfach zu Judith Williams gehen und ihr sagen, dass ich tun werde, was sie verlangt. Die verrückten Träume ihres verrückten Ehemanns erfüllen. Judith erlauben, für die nächsten paar Jahrhunderte über mein Leben zu bestimmen.
Die Auserwählte werden und vom Elfenbeinturm ihrer Wahl herab regieren. Und dafür verlange ich nur, dass David wohlbehalten freigelassen wird und ich ein paar Wochen im Jahr meine Familie besuchen darf. Dieses Angebot könnte sie kaum ausschlagen. Wenn es tatsächlich das ist, was sie will. Ich bin so tief in diesen Gedanken versunken, dass ich die Fahrt zu Avery per Autopilot absolviere. Auch Frey ist still, vermutlich, weil er fürchtet, mich mit einem falschen Wort wieder in Rage zu bringen. Erst als wir gut anderthalb Kilometer von dem Haus ganz oben auf dem Mount Soledad entfernt sind, fahre ich rechts ran und halte den Jaguar an.
Frey wendet sich mir zu. »Soll ich hier aussteigen und mich verwandeln?«
»Ich glaube, das wäre eine günstige Stelle. Du hast jede Menge Deckung. Bäume, Gebüsch.«
Es ist dunkel auf der Straße. Hier gibt es nur wenige Straßenlaternen, denn es werden nicht viele gebraucht. Die Anwesen an dieser Straße haben alle ihr eigenes, hell erleuchtetes Sicherheitstor in hohen Mauern aus Ziegel oder Stein. Je höher man den Berg hinauffährt, desto höher die Mauern und desto sicherer die Tore. Frey zieht die Schuhe aus und wirft sie auf den Rücksitz. Er knöpft sein Hemd auf, schält sich heraus und schlüpft aus der Hose. Keine Unterwäsche.
Er ertappt mich dabei, wie ich ihn beobachte. »Ich glaube, Layla hätte einiges gegen deinen Gesichtsausdruck einzuwenden.«
»Im Gegenteil, ich glaube, Layla würde mir ganz recht geben. Ehe sie mir die Augen auskratzt. Also los, raus mit dir. Je eher du herausfindest, wie gut David bewacht wird, desto schneller können wir uns überlegen, wie wir ihn herausholen.«
Ich beschreibe Frey schnell das Anwesen – die frei stehende Garage hinter dem Haus, den Weg, der die Garage mit der Hintertür verbindet, und die praktisch ganz aus Glas bestehende Rückseite des Hauses mit Blick auf den Pazifik weit unten.
Es fällt mir ein bisschen schwer, diese Logistik mit einem nackten Mann zu besprechen. Mein Blick verirrt sich immer wieder. Ich hatte ganz vergessen, was für einen tollen Körper Frey hat. Er rutscht leicht auf dem Sitz nach vorn, so dass ich einen noch besseren Blick habe. Er weiß genau, was er tut und was ich tue. Wahrscheinlich hat er sich deshalb ausgezogen, bevor wir dieses Gespräch begonnen haben, statt bis hinterher zu warten.
Schließlich öffnet er die Tür und steigt aus. Ohne einen Blick zurück verschmilzt er mit der Dunkelheit. Ich höre ein Rascheln und ein leises Grollen, dann ist das Gebüsch neben dem Auto wieder still. Ich lehne den Kopf an die Nackenstütze und schließe die Augen. Frey wird schätzungsweise zehn Minuten bis zu Averys Haus brauchen, höchstens eine halbe Stunde, um sich umzuschauen, und zehn Minuten für den Rückweg.
Also kann ich ebenso gut ein Nickerchen
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