Anna Strong Chronicles 06 - Gesetz der Nacht
erwähnt eine Rücktrittsklausel.«
Das hatte ich tatsächlich vergessen. Ich setze mich wieder auf die Sesselkante. »Nur zu.«
Auch Frey setzt sich und greift nach dem Buch. »Sie hat recht. Das Buch beschreibt tatsächlich eine Möglichkeit, wie der oder die Auserwählte den Anspruch auf diesen Titel abtreten kann.«
Aber schon verstummt er, und erst als ich ihn anfahre: »Verdammt noch mal, Frey, was ist das für eine Möglichkeit?«, fährt er widerstrebend fort.
»Die Forderung.«
»Forderung?«
»Jeder der dreizehn Repräsentanten kann den Antritt der Auserwählten anfechten und sie herausfordern.«
»Ich will ja nicht den Eindruck erwecken, dass ich an diesen ganzen Mist glaube, aber was für eine Herausforderung soll das sein? Ich dachte, diese Auserwählte sei vom Schicksal dazu bestimmt und hätte besondere Kräfte.«
Frey ignoriert den Sarkasmus, der dick und klebrig wie Honig von meinen Worten tropft. Er antwortet nur: »Die Identität der Auserwählten ist vorherbestimmt. Aber falls es einen Herausforderer gibt und der oder die Eine von ihm besiegt wird, geht man davon aus, dass die Prophezeiung fehlerhaft war. Dann erhält der Sieger den Titel.«
Ich klatsche in die Hände. »Wunderbar. Dann brauchen wir nur einen Herausforderer. Diesen glücklichen Vampir lasse ich dann gewinnen, und wir können alle beide fröhlich unseres Weges gehen.«
»Nicht direkt.«
»Na, was denn dann? « Frey sieht mich nicht an. Er schaut zu Boden und sonst überall hin, nur nicht in meine Richtung. Die Vampirin verliert die Geduld und bricht knurrend hervor. »Herrgott, Frey, muss ich die Hand in deinen Hals schieben und dir jedes verdammte Wort einzeln aus dem Mund ziehen?«
Ganz kurz blitzt der Panther in Freys Augen auf. Diesmal kommt das grollende Knurren von ihm. »Übertreib es nicht, Anna. Im Moment brauchst du mich dringender als ich dich.«
Da hat er recht. Ich rudere mit einem verkniffenen Lächeln zurück. »Es tut mir leid. Ich will nur eine direkte Antwort. Die du mir offenbar nicht geben willst.«
»Wenn ich zögere, dann nur deshalb, weil mir etwas an dir liegt.« Frey tippt mit dem Zeigefinger auf den Buchdeckel.
»Ich weiß, wie lächerlich du die Vorstellung findest, Verantwortung für die Gemeinschaft der Vampire zu übernehmen. Aber die Alternative bedeutet nicht, dass einer gewinnt und der andere verliert. Sie bedeutet, dass einer lebt und einer stirbt. Die Forderung ist eine Herausforderung zum Kampf auf Leben und Tod.«
Kapitel 38
Ein Kampf auf Leben und Tod. Aber natürlich. Was eigentlich eine Schreckreaktion hervorrufen sollte, entlockt mir nur ein resigniertes Seufzen. Wie könnte es in der Gemeinschaft der Vampire auch um weniger als einen Kampf auf Leben und Tod gehen? Ich begegne Freys besorgtem Blick. »Deshalb hast du mir nicht schon vorher von der Forderung erzählt? Weil das ein Duell auf Leben und Tod ist? Dachtest du, das würde mir Angst machen?«
Frey schüttelt den Kopf. »Nein. Ich wusste, dass du davor keine Angst haben würdest. Aber Judith Williams kennt dich nicht so gut wie ich. Sie würde eine solche Klausel nur aus einem einzigen Grund erwähnen: Weil sie weiß, dass jemand dich zum Kampf fordern wird.«
Nein. Ich stehe auf und stoße den Sessel ungeduldig zurück. »Ziemlich unwahrscheinlich, meinst du nicht? Als sie vor ein paar Tagen zu uns kam, wusste sie nicht einmal, wo sie hingehen konnte, um zu trinken. Und jetzt organisiert sie einen Herausforderer gegen mich?«
»Ich habe auch keine Erklärung dafür. Aber sie hat es in ihrer E-Mail erwähnt, weil sie damit rechnen konnte, dass du mich danach fragen würdest. Dass du die Wahrheit über das Duell erfährst. Vielleicht dachte sie, sie könnte dich damit so erschrecken, dass du einen dummen Fehler machst.«
»Was zum Beispiel?«
»Zum Beispiel, dass du nicht zu der Zeremonie erscheinst.«
»Wenn wir David vor Dienstag da herausholen können, wäre das doch gar keine so schlechte Idee, oder?«
»Wenn du da nicht erscheinst, erklärst du dich damit selbst zur Abtrünnigen. Keine Zeremonie, keine Herausforderung. Es ist die Pflicht der Auserwählten, den Weg für die nächsten zweihundert Jahre vorzugeben. Indem du die Schriften ignorierst, zerstörst du das Gleichgewicht. Es muss einen Auserwählten geben. Nur durch deinen Tod kann ein anderer gekennzeichnet werden.«
Mehr sagt er nicht. Das ist auch nicht nötig. Die Schlussfolgerung ist offensichtlich. Wenn ich diese verrückte Zeremonie nicht
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