Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
entgleiste in die Höhe.
Der Gögling wachte auf. Er schälte sich aus seinem Versteck, rollte seine Ohren rasch zusammen und musterte die Jungmagierin eindringlich mit seinen großen, sich ständig bewegenden Glupschaugen. Dann verzog er die Schnauze plötzlich zu einer hässlichen Grimasse. Seine rote Zunge streckte sich kurz nach vorne und verschwand wieder hinter den schmalen Lippen.
„Nach all dem sollte es doch dir, du Starrkopf, so langsam einleuchten, dass du der letzte Drache bist!“, schrie sie. „Das ist doch klar wie …“, sie schnappte nach Luft, suchte nach dem passenden Wort, fand ihn aber nicht und wandte sich entrüstet zu Scharta. „Er leugnet doch nur aus Trotz! Warten macht doch gar keinen Sinn! Wir haben auch keine Zeit dafür!“
Der Gögling gab einen Ton von sich, der sich wie ein raues Kreischen anhörte, schoss seine lange Zunge heraus und ließ sie so schnell vibrieren, dass sein klebriger Speichel sich fächerartig im Raum verteilte.
Einige Tropfen erreichten Annas Kleid. Sie wischte sie schnell mit der bloßen Hand ab. Ihre Finger klebten aneinander. Ein unverhohlener Ausdruck von Ekel breitete sich auf ihrem Gesicht aus, vom Kinn bis zum Haaransatz lief sie purpurrot an. „Steck das Biest wieder weg!“, herrschte sie Ian an. „Solange er sich nicht zu benehmen weiß, hat er in den wichtigen Besprechungen nichts verloren!“
Er nahm den Gögling zurück und legte seinen Arm schützend um ihn. Dieser rollte sich vom Kopf bis Fuss in seine Ohren ein und stellte sich still.
„Besser ist es“, brummte die Jungmagierin und beäugte ihn streng mit Argusaugen.
Er streichelte den Gögling beruhigend über seine Ohren, schwieg eine Weile, dann fragte, seine Miene verwirrt: „Woher wollt ihr alle so genau wissen, dass ich angeblich ein Drache wäre?“
Sie rollte die Augen zur Decke. „Das sieht man.“
„Man sieht was genau?“
„Wenn man dich anguckt, sieht man auch deine Vorfahren.“
„Wie das?“ Er blickte verdutzt. „Mal was ganz Neues.“
„Sie stehen hinter dir“, erklärte Anna schulterzuckend.
„Sie stehen hinter mir?“ Er musterte sie unverwandt. „Und wie siehst du sie?“
„Mit dem so genannten zweiten Blick. Ich kann sie sehen, Scharta kann es auch.“
„Ihr habt euch abgesprochen“, winkte er ab.
Sie verzog den Mund. „Und warum sollten wir es? Glaubst du, ich habe sonst nichts zu tun?“
„Keine Ahnung …“
„Ich habe auch sonst keine Sorgen, was?“, schrie sie plötzlich wieder. Ihre Augen traten leicht hervor, die Farben wurden kräftiger: ein tiefes Grün und ein dunkles Braun. „Wie stellst du es dir vor? Ich hole nichts ahnende Menschenkinder aus ihrer Welt, erzähle aller Hand Zeugs, was sie eh nicht verstehen, nicht begreifen wollen und was für sie so oder so nicht stimmt und dann verlange ich, dass sie, mir nichts dir nichts zu Drachen werden sollen? Das hört sich ja nach einem mordsmäßigen Spaß an!“
Ian blickte verlegen und sagte: „Was weiß ich, was du für einen Humor drauf hast.“
Anna schnappte nach Luft, hielt aber inne und sagte schließlich in einer leisen, aber eindringlichen Stimme: „Nochmals für diejenigen, die die wichtigen Dinge ganz schnell begreifen. Ich finde es nicht gerade lustig. Es ist mir sehr ernst. Es geht ums Leben und Tod. Nicht meins oder deins. Es geht um die Oberwelt insgesamt. Sie stirbt, und zwar schneller, als ich es mir vorstellen konnte und sicher schneller, als es mir lieb ist. Wenn ich nicht sehr bald etwas dagegen tue, was die Pläne der Grausamen wenigstens aufhält, dann ist es vorbei. Es ist dann aus! Verstehst du??
Es gibt dann keine Oberwelt mehr! Es ist dann alles nur die schwarze stinkende Hölle, wo die Sklaven und Diener tagein tagaus für die Gier der Grausamen ihre Leben verpfuschen! Und sie amüsiert sich köstlich dabei. Sie kostet dann ihren Sieg so richtig aus! Sie war ja wieder schlauer, sie wusste ja alles besser, sie hatte es alles ganz toll eingefädelt! Ihre Welt, die aus Gewalt, Ausbeutung und Leiden andere besteht, hat dann alles andere verschlungen! Sie hat uns dann alle um ihren kleinen Finger gewickelt! Und es gibt nie wieder einen Ort, wo Träume wahr werden! Es ist dann endgültig vorbei! Kapierst du das??“
Ian musterte sie nachdenklich, sein Kopf etwas zur Seite geneigt, und schwieg.
Die Jungmagierin schloss die Augen, atmete erschöpft aus, dann sah etwas ruhiger in die Runde und flüsterte: „Das kann es einfach nicht sein. Ich kann es
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