Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
und seine Helfer bei der Arbeit. Wir sind eine richtige Familie, wie es sich für einen ehrenwerten Mann gehört. Er hat sein Geschäft in der Tierzüchtung weiter ausgebaut und besitzt mittlerweile jede Menge Kamelle. Er ist jetzt einer der wohlhabendsten Viehtreiber weit und breit.“ Überheblichkeit löste den Ausdruck der Zufriedenheit auf ihrem tiefbraunen Mondgesicht ab: der Unterkiefer nach vorne geschoben, die dicke Unterlippe weit abstehend, der Blick von oben herab aus den schwarzen Schlitzaugen. Wie gut Anna diesen Ausdruck kannte! Sie musste wieder insgeheim staunen, wie diese Frau es fertig brachte, auf Menschen von oben herab zu blicken.
„Wann ist er wieder da?“, fragte sie in einem möglichst neutralen Ton und gab sich Mühe, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.
„Heute Abend spät sagte er. Wenn alles gut geht“, antwortete sie und musterte die junge Frau neugierig.
„Das will ich hoffen.“
„Du trägst aber teure Kleider“, bemerkte Mondoon. „Bist du etwa reich geworden?“
„Nicht direkt.“ Anna nahm die Türklinke in die Hand.
„Nun, die Frau, die dich damals mitgenommen hatte, sah nicht gerade wie eine Bettlerin aus.“ Sie ließ ihre Zunge über die trockenen Lippen flitzen. „Du warst, wie es aussieht, doch nicht so dämlich. Du hast etwas geerbt, nehme ich mal an.“ Ihr gieriger Blick bohrte sich in Annas Amulette, glitt dann zu den Ringen auf ihren Händen herunter. „Es wird sonst schwer für dich, eine gute Partie zu finden, wenn kein Geld da ist“, fuhr sie spöttisch fort. „Da musst du doch eine ordentliche Mitgift haben, um deinem Zukünftigen über deine Herkunft und den Teufelsaugen hinweg zu helfen.“
„Das geht dich nichts an“, sagte die junge Frau mit Betonung auf jedem Wort und zog die Tür auf. „Ich warte draußen auf ihn“, warf sie über die Schulter und schritt hinaus.
„Die Steppe ist weit“, hörte sie Mondoon hinter ihrem Rücken krächzen.
Sie hörte die Tür hinter sich zufallen und atmete erleichtert aus.
Die Sonne war schon hinter dem Horizont. Im hohen Himmel färbten sich leichte Schleierwolken in goldvioletten Tönen. Anna lief in die freie Steppe hinaus und nach einer Weile kam ihr die Gegend sehr bekannt vor. Da, noch ein Stück weiter rechts, da muss wohl die Stelle sein. Sieht es dort immer noch so aus wie damals?
Sie lief unbeirrt weiter, bis sie einen Hügel erreichte, der sich äußerlich durch keine besonderen Merkmale von den anderen abhob, ihr Herz aber machte einen Satz. Hier muss es sein. Alles wie früher. Die am Horizont flimmernden Berge, der unermüdliche Wind, der freie Himmel und eine Weite, wohin das Auge reicht. Ich habe beinah vergessen, wie schön es hier ist. Sie schloss die Augen und atmete tief durch. Ich bleibe hier ein Weilchen und warte auf meinen Vater . Wie damals .
Sie setzte sich auf das von der Sonne ausgebrannte Grass, blickte auf den nun rötlich schimmernden Himmel und plötzlich war sie wieder ein kleines Mädchen, das tagein tagaus auf einer alten Decke hier hockte, ihr Hund hinter dem Rücken, und mit ihren bemalten Steinen spielte. Freundchen. Sie lächelte verträumt. Der gute Hund war immer dabei, wenn ich draußen war. Ob er noch lebt? Damals war er jung. Ich weiß noch, ich habe ihn damals als einen blinden Welpen trotz aller Mondoons Proteste behalten.
Erinnerungen an ihre Kindheit überrollten sie und auf einmal stand eine schöne Frau in Weiß mit langen, blonden Haaren vor ihrem inneren Auge, die eines sonnigen Morgens hier wie aus dem Nichts auftauchte. Sie konnte sich gut an ihre Erscheinung erinnern, wie sie aus dem Flimmern der Frühlingsluft auf sie zukam.
Alphira erzählte ihr Jahre später, was an diesem Tag geschah. Eine weite Steppenlandschaft, wie aus dem Bilderbuch, breitete sich vor mir aus: ein atemberaubender Anblick von sattem Grün der Gräser, flackerndem Blauviolett der Berge in der Ferne, dem tiefen Blau des endlosen Himmels. Der frische Wind, der seine wundersame Geschichten erzählte, die Lerchen, die unermüdlich ihre fröhlichen Lieder hoch im klaren Himmel sangen, die Sonne, die ihre schrägen, warmen Frühlingsstrahlen auf dem frischen Gras tanzen ließ, versetzten mich in Staunen ob der Schönheit dieses ungewöhnlichen Ortes.
Ein kleines Mädchen von etwa fünf Jahren saß auf einer alten, löchrigen Filzdecke, spielte mit einer Handvoll glatten Steinen und summte ein einheimisch anmutendes Lied vor sich. Das Kind hatte etwas Ungewöhnliches an
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