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Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)

Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)

Titel: Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rina Bachmann
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Vaters. Die Wände vom großen, weißen, runden Zelt, das in der Mitte zu einer Spitze zulief, spiegelten die rötlich-goldenen Töne des Sonnenuntergangs. Das Zelt sah genauso aus, wie dasjenige, das Anna seit den Kindertagen in Erinnerung hatte. Die Zeit schien hier stehengeblieben. Die atemberaubende Weite der mongolischen Steppe, die bläulich-violett schimmernden Bergketten am Horizont, der unermüdliche Wind, der die Knäuel trockenen Gestrüpps und die feinen Sandkörnchen über den Boden rollte, alles war wie früher.
    Sie lief zu Jurta, zog an der Tür, die mit einem leisen, friedlichen Knarzen aufging, schritt leicht vorgebeugt unter dem niedrigen Türrahmen hinein und fand sich in einem sauberen, aufgeräumten Raum, in dem fast alle Möbelstücke in Rot gestaltet wurden. Üppige Stickereien in goldenem Garn verzierten die gepolsterten Lehnen und Kissen der Diwane aus dunkelrotem Samt, die an der Wand gegenüber dem Eingang nebeneinander aufgestellt waren. Einige Stühle und Hocker, die Sitze ebenfalls in Rot, fanden ordentlich aufgereiht ihren Platz weiter rechts. Zur Linken von der breiten Sitzfläche waren drei Anrichten aus hellem Holz hintereinander gestellt. Auf der Mittleren türmten sich Berge von Pialas aus dickem, in Rotgold bemaltem Porzellan. Die zwei anderen, nur mit langen, weißen, mit roten Stickereien verzierten Läufern abgedeckt, schienen als Abstellfläche bei Mahlzeiten zu dienen. In der Mitte des Raums thronte ein grob zusammengeschweißter, gusseiserner Herd, aus dessen rechten Ecke ein blechernes, dickes Rohr durch die Spitze des Daches nach oben hinausging. In seinem Schlot loderte das Feuer und verbreitete im Raum trockene Wärme.
    Eine rundliche Frau mit grau schimmernder Schürze über einem alten, blauen Trainingsanzug und verwaschenem bunten Tuch auf dem Kopf stand vor dem Herd, den Rücken zur Tür gewandt. Sie nahm den Deckel vom breiten Topf ab und fing an, darin mit einem langen, hölzernen Löffel zu rühren. Daraus dampfte es und ein würziger Geruch nach Lammfleisch verbreitete sich im Raum.
    Als die Tür zufiel, drehte sich die Frau um und heftete ihren zornigen Blick an die ungebetene Besucherin. Die Furche zwischen den dicken, schwarzen Brauen vertiefte sich zusehends, die schmalen Augen wurden zu zwei kaum erkennbaren Schlitzen über den runden, braunen Wangen. Die Schweißperlen traten deutlicher auf der engen Stirn hervor.
    „Sei gegrüßt Mondoon.“ Anna gab sich Mühe, ihre Stimme so neutral wie möglich zu halten, sah sie freundlich an und versuchte, den Gesichtsausdruck der Frau vor ihr zu deuten. Er lag irgendwo auf der breiten Paillette zwischen der Entrüstung und Argwohn. „Ist mein Vater da?“, fragte sie in einer gestellt unbeschwerten Stimme.
    Die Steppenfrau ging langsam auf sie zu, stellte sich so nah, dass die säuerlich-ranzigen Ausdünstungen ihrer Kleidung Anna in die Nase stiegen, und grinste breit. „Da bist du also, die verlorene Tochter“, krächzte sie. Ihr Mund, die Winkel nach unten gepresst, wurde auf einmal schmal wie ihre Augen. Das verlieh ihr etwas Höhnisches. Ihr Atem ging schwer, die Luft pfiff aus der Lunge.
    „Die verratene Tochter passt besser“, erwiderte die junge Frau. Ihre Stimme versagte für einen Moment.
    „Du hast immer noch ein schiefes Gesicht“, stellte Mondoon fest. Ihre vor Fett glänzende Miene nahm einen zufriedenen Ausdruck. Sie drehte sich um und stolzierte zu einem kleinen, mit altem Wachstuch bedeckten Tisch neben dem Herd.
    „Mein Gesicht war noch nie schief“, sagte Anna betont ruhig.
    „Was willst du hier?“, warf die Steppenfrau über die Schulter. „Meinst du, du kannst einfach so kommen und dir nichts mir nichts nach meinem Mann verlangen?“ Sie schnitt Zwiebeln mit einem kleinen Messer auf einem Plastikbrett, das seine besseren Zeiten lange hinter sich hatte.
    „Ich will meinen Vater sprechen. Wo ist er?“ Annas Blick bohrte sich in ihren Hinterkopf.
    „Er ist mit seinen Söhnen draußen.“
    „Mit seinen Söhnen …“, wiederholte Anna perplex und ließ das letzte Wort langsam im Raum ausklingen. „Wie viele sind es denn?“, fragte sie, nachdem sie sich gefasst hatte.
    „Drei“, erwiderte Mondoon stolz, grinste selig vor sich, drehte sich zu ihr um, den Kochlöffel fest in der Hand wie ein Zepter. Sie wischte die Schweißperlen von ihrem Gesicht mit einem verwaschenen Lappen ab. „Ich habe deinem Vater drei Söhne geboren“, verkündete sie. „Mein Zaaren hat einen Stammhalter

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