Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
ein Wunder möglich.“
„Verstehe“, nickte die Jungmagierin. „Ich glaube, es ist besser, ich bringe ihn erst hierher, dann sehen wir weiter.“ Sie lief zu der Fackel mit dem Drachen. „Ich glaube, unser kleiner Freund weiß, wo der Junge ist, zu dem er gehört. Er wird mich zu ihm führen.“ Sie nahm die Figur aus der Schale, schloss ihre Finger fest um sie und schritt zum Ausgang.
„Warte! Du sollst noch einiges wissen, bevor du auf die Reise gehst.“
Anna drehte sich um und blickte überrascht. „Gibt es noch was? Ich habe jetzt aber keine Zeit. Ich muss los.“
„Sachte, sachte.“ Die Schlange tippte mit der Spitze des Körpers ihr auf die Schulter.
Sie drehte sich um und sah fragend in die gelben Augen, die sie tadelnd anblickten.
„Höre mir erst mal gut zu“, verlangte Scharta. „Diese Aufgabe ist nichts für kleine Mädchen.“
„Jetzt redest du wie Alphira.“ Die junge Frau schaute enttäuscht.
„Abgesehen davon.“ Die Hüterin des Wissens bedachte sie mit einem ernsten Blick. „Du bist nicht die Einzige, die an dem Drachenjungen brennendes Interesse hat.“
Anna zuckte die Schulter. „Das mag sein, aber es ändert nichts daran, dass ich ihn holen gehe.“
„Du nimmst es auf all zu leichte Schulter! Du hast keine Ahnung, mit wem du es aufnimmst. Es ist nicht wie durch den Toten Wald zu streichen und sich mit den Schwertvögeln und Echsen anzulegen. Hier geht es um viel mehr!“
„Das ist mir klar, dass es ums Leben und Tod geht. Für die Oberwelt ist es längst eine traurige Realität geworden. Sie ist mehr tot als lebendig. Und deshalb muss ich so schnell wie möglich los.“ Sie blickte ungeduldig in Richtung Ausgang.
„Ach Jugend! So ungestüm und unüberlegt, als ob das Leben eine grüne Spielwiese wäre und alle tobten da wie die fröhlichen Tierchen herum.“ Die Schlange stellte ihren Kopf wieder dicht vor der jungen Frau. „Ist es dir klar, dass du sehr viele Dinge nicht kennst und vieles nicht kannst, um wenigstens eine faire Chance zu haben, in diesem Kampf zu bestehen?“
Anna sah unerschrocken in die Telleraugen mit schmalen, linsenförmigen Pupillen, die wie eine senkrechte Linie die gelbe Iris entzweite. „Lass es uns so machen: Ich hole den Jungen in die Oberwelt und dann erzählst du uns, was wir da deiner Meinung nach noch wissen müssten. Geht das in Ordnung? Ich muss los.” Sie lief zum Ausgang.
„So kann ich dich nicht gehen lassen.“ Die Stimme der Hüterin des Wissens klang tief und hallte plötzlich im niedrigen Raum.
„Soll ich noch etwas für dich tun?“ Die Jungmagierin drehte sich um und schaute sie irritiert an.
„Das sollst du hauptsächlich für dich tun. Höre mir einfach zu, sehe dir an, was ich dir gleich zeige. Ohne dies würde es aussehen, als ob ich dich leichten Herzens in den sicheren Tod schicken würde. Wenn du dich dann gegen dein Vorhaben entscheidest, ist dir keiner böse. Setz dich hierher.“ Die Schlange formte aus ihrem langen Körper einen Ring, der nicht zu hoch und nicht zu niedrig für Anna war. „Lass uns anfangen.“ Sie tippte dreimal gegen die rechteckige Wand.
Diese begann leicht zu beben, die Luft wurde dicker, die Fackeln flimmerten in einem noch tieferen Blau. Eine plötzliche Hitzewelle kam Anna auf einmal entgegen. Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen. Als es vorbei war, blickte sie auf und sah vage Umrisse eines schwarzen Gemäuers, das zu einem alten, riesigen Schloss gehörte. Es erhob sich majestätisch auf den kahlen, dunklen Felsen und ragte seine filigran gearbeiteten Mauern in den grauen, von schweren Wolken beladenen Himmel.
Ein anderes Bild erschien auf der Wand. Es zeigte einen dunklen Saal mit einer hohen Decke, die von zwölf gotischen, symmetrisch angeordneten Säulen gestützt wurde. Einige Fackeln mit dem lodernden, rötlich schimmernden Feuer an den schwarzen Wänden erhellten den düsteren, fast leeren Raum. Er wurde von einem schwarzen Thron dominiert, dessen breiter Sitz links und rechts von zwei steinernen Sphinxen, der eine schwarz, der andere grau, flankiert war. Vor allem die hohe Lehne verwunderte die ungebetene Besucherin. Bizarre, aus Gold geschmiedete Zeichen, üppig mit funkelnden Edelsteinen besetzt, flackerten im Licht der Flammen mal dunkelrot, mal gelblich auf und schienen eine geheime Botschaft zu verschlüsseln.
Auf dem Thron saß eine kleine, zierliche Frau mittleren Alters. Sie war in ein üppiges, langes Gewand aus der schwarzen Seide gekleidet, das sie
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