Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
größer aussehen ließ, als sie eigentlich war. Ihr blasses Gesicht war fein geschnitten, aber schön konnte man es nicht nennen. Die schwarzen Augen blickten streng. Kälte, Unheil und etwas noch, wofür Anna keinen treffenden Ausdruck finden konnte, strahlte ihre ganze Erscheinung aus.
Eine schwere, mit Eisen beschlagene Tür in der hinteren rechten Ecke des dunklen Saals ging auf und zwei seltsame Wesen traten ans Licht. Die nackten Oberkörper der stämmigen, muskelbepackten Männer trugen schwarze Stierköpfe mit kräftigen, in der Mitte gebogenen spitzen Hörnern. Die beiden schleiften jemanden herein und warfen ihn der Frau auf dem Thron vor die Füße.
Anna schlug die Hand vor dem Mund. „Der alte Faun! Das war der, der mir vom Anschlag auf die Drachen erzählt hatte!“
Die Herrscherin guckte kaum hin. Ihre kühle Stimme verkündete: „Kopf ab!“
Der Faun blieb regungslos liegen. Die Stierköpfe hoben ihn mit einem Ruck hoch. Sein Körper hing schlaff zwischen ihren kräftigen Pranken. Sie schleppten ihn rasch aus dem Saal. Die Tür ging zu und kurz darauf erneut auf. Ein weiteres Opfer wurde vor die Füße der Frau in Schwarz geworfen. Sogleich ertönte ihre Stimme: „Kopf ab!“
Das Bild verschwand.
Die Jungmagierin starrte immer noch auf die leere, bläulich flimmernde Wand. Das Blut pochte in ihren Schläfen. Dann schaute sie mit weit aufgerissenen Augen zu der Schlange. „Wer ist das? Wo ist es? Warum will sie die alle ohne Kopf haben? Was soll das alles?“
„Was glaubst du, wer das ist?“
Die junge Frau schluckte und atmete tief durch. „Verstehe. Der Schatten.“
„Höchstpersönlich.“
„Na das ist ja noch milde ausgedrückt!“ Annas Wangen glühten. „Das ist die Grausamkeit in Person!“
„Deshalb wird sie auch die Grausame genannt. Sie ist mächtig stolz darauf und tut noch viel mehr, um diesen Namen alle Ehre zu machen. Schau hier.“ Scharta tippte wieder auf die Wand.
Ein neues Bild erschien. Dunkelgrau und Schwarz dominierten die Szene. Dicke Wolken bewegten sich schnell über der vom trüben Wasser überfluteten, trostlosen Landschaft.
Anna blickte angestrengt hin. Ein kleines Areal auf einer Anhöhe sah etwas trockener aus. Darauf stand ein stattliches Holzhaus, ein breiter Kiesweg führte zum Eingang und um ein nicht allzu großes Grundstück, das das Haus umgab. Warmes Licht ergoss sich aus den Fenstern auf das dichte Grau draußen.
„Es ist die Oberwelt von oben!“, rief die junge Frau aus. „Das ist Alphiras Haus!“
„In der Tat.“
„Aber alles ums Haus ist dunkel. Das heißt ...“, ihr stockte der Atem, sie schnappte nach Luft.
„Das heißt, dass die Oberwelt zum größten Teil unter der Kontrolle der Grausamen steht. Nur dieses kleine Stück hat sie noch halbherzig gelassen.“
„Und der Rest der Oberwelt? Doch nicht etwa …“ Entsetzen spiegelte sich auf dem Gesicht der jungen Frau.
Die Schlange wiegte langsam den Kopf von einer Seite zur anderen. „Nicht ganz.“ Sie langte zu einer Fackel und strich mit dem bläulichen Feuer über die Wand. Die Fläche flimmerte und ein weiteres Bild erschien.
Am Horizont rechts zeichneten sich zackige Spitzen der hohen Berge ab. Unter dem schweren Himmel marschierte eine Riesentruppe von seltsamen Wesen auf ausgebrannter Erde. Die Geschöpfe ähnelten Orang-Utans mit dichtem, schwarzen Fell, ihre Körper waren etwa zwei Meter groß und kräftig. Die Arme hingen fast bis zu den Knien. Auf den breiten Schultern fehlte der Kopf. An der fraglichen Stelle gab es eine kleine Grube, die zwischen zwei breiten Schultern fast gänzlich verschwand.
Anna blickte zur anderen Seite. Eine Gruppe von menschlich aussehenden Typen mit Köpfen, die recht klein im Vergleich zu ihren Körpern in schwarzer Uniform ausfielen, stand vor einem riesigen Turm. Aus den schmalen, vergitterten Fenstern hörte sie ein gedämpftes Stöhnen und Klagen.
„Das ist ein Gefängnis. Dort sind die Oberweltler eingeschlossen, die der Grausamen nicht dienen wollen.“
„Was soll mit ihnen passieren?“, fragte sie, ihr Blick zu den schmalen, vergitterten Fenstern oben im Turm geheftet.
„Die meisten werden als Untote ihr Dasein fristen. Gegen ihren Willen. Sie wissen dann nichts mehr von ihrem früheren Leben und haben keine Ahnung, wer sie mal waren. Sie sind dann nur dazu da, die Befehle der Grausamen auszuführen. Sie wird sie dann entsprechend ihren Vorstellungen einteilen. Manche werden sich der Truppe anschließen, die dort
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