Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
nicht so gut aus. Es kommt mir vor, dass sie nicht mehr lange ...“, ihre Stimme brach ab und sie schluchzte laut.
„Ist ja gut, das wird schon.“ Scharta nahm sie bei der Taille, stellte sie vor die Wand mit den Fackeln und begann sie vom Kopf bis Fuß mit dem blauen Feuer überzustreichen.
„Kannst du deine Wand befragen? Kannst du mir zu zeigen, wo Ian ist?“ Anna sah sie flehend an.
„Und was glaubst du? Gibt es viele Möglichkeiten, wo er sein kann?“
„Du willst doch nicht sagen, dass er …, dass sie, dass dieses Monstrum …” Ihr stockte der Atem, in den Augen spiegelte sich Entsetzen wider.
„Wir werden es gleich sehen“, sagte die Hüterin des Wissens und strich mit dem Feuer über die Wand. „Zeig uns, wo Ian ist“, befahl sie.
Eine dünne, bläuliche Schicht leuchtete auf der glatten Oberfläche. Sie schimmerte silbern, wechselte zu leicht gelb, dann zu weiß. Nach und nach wurden die Umrisse eines düsteren Bildes klarer. Der junge Mann lag bewegungslos in einer dunklen Kammer auf dem Boden vor einer mit Rostflecken bedeckten Tür.
Anna zuckte zusammen. „Wo ist es?“
„Du darfst raten.“ Die Schlange legte ihren Kopf auf einen ihrer dünneren Ringe, den sie als Stütze hochgestellt hatte.
„Ist er in ihrem Schloss?“
„Unter dem Schloss, besser gesagt.“
„Sie hat ihn in einen Kerker geworfen?“
„Es ist wohl kaum zu übersehen.“
„Und warum liegt er da so? Hat sie ihn gequält?“
„Vermutlich.“ Sie sah nachdenklich ins blaue Feuer.
„Das geht nicht.“ Die junge Frau schüttelte kräftig den Kopf, ihre Fäuste ballten sich. „So habe ich es mir nicht vorgestellt. Ich muss ihn da weg bekommen. Bevor es zu spät ist.“ Sie warf einen raschen Blick zum Ausgang.
„Eine gefährliche Angelegenheit.“
„Nutzt nichts. Ich habe ihn in die Andere Welt geholt und ihn damit in die Hände der Grausamen gespielt. Also bin ich dafür verantwortlich, dass er jetzt bewusstlos unter ihrem Schloss liegt. In seinem alten Leben in der Menschenwelt wäre es ihm nicht passiert.“ Sie sah entschlossen in die tellergroßen gelben Augen. „Ich muss ihn außer Gefahr bringen. Er kennt sich in der Anderen Welt nicht aus. Er denkt wie ein normaler Mensch und handelt auch wie einer. Zaubern kann er auch nicht.“ Anna nickte kurz zum Abschied und lief zum Ausgang.
„Warte! Du solltest etwas wissen, bevor du gehst.“
„Tut mir leid, keine Zeit. Das erzählst du mir später, wenn ich mit Ian zurück bin“, rief sie über die Schulter und zog sich langsam hoch. Dann spürte sie, dass ein elastischer Ring sich auf einmal um ihre Taille legte. Sie zappelte kurz in der Luft mit den Füßen und wurde prompt an die Wand mit den Fackeln gestellt.
Der riesige Schlangenkopf fuhr vor ihre Nase. „Zu-hö-ren!“ Die Stimme der Hüterin des Wissens hallte plötzlich in ihren Ohren. „Bevor du im Reich der Grausamen stecken bleibst.“
„Ich? Wieso? Ich will nur kurz hin, Ian holen.“
„Höre mir gut zu“, verlangte Scharta und fuhr ihren Kopf etwas zurück. „Was ich dir vorhabe zu vermitteln kann essentiell für dein Überleben sein. Ohne kann ich dich nicht gehen lassen“, fügte sie etwas beruhigt hinzu.
Anna atmete ruckartig aus, schloss die Augen. „Gut, ich höre.“
Die Schlange bedachte sie mit einem langen, durchdringendem Blick und sagte schließlich: „Als die Grausame in jener Nacht ihren Fluch über Drachen ausbreitete, passierte Folgendes: Ihre Körper wurden zu Stein. Manche zerfielen gleich, als sie unten auf die Erde aufprallten, manche aber, die in dem Moment vermutlich bereits unten waren, wurden zu Bergen und Hügeln. Mit der Zeit eroberten die Sträucher, Bäume und Gräser die kahlen Felsen und kaum eine Spur von der Existenz eines großen Volkes war mehr zu sehen. Das war aber noch nicht genug der Rache. Was mit ihren Seelen geschah …“
Die Jungmagierin riss die Augen auf. „Die Seelen! Daran habe ich gar nicht gedacht!“
„Die Grausame hatte diesbezüglich ihre eigenen Pläne. Dafür hatte sie einen besonderen Ort errichtet.“ Scharta bedachte die Jungmagierin mit einem bedeutungsschweren Blick. „Unter ihrem Schloss gibt es ein Labyrinth: dunkel, feucht und kalt. Die Gänge sind zahlreich wie endlos, eine Kurve wechselt die andere. Dort sperrte sie nach dem Anschlag die Seelen der versteinerten Drachen ein. Sie huschen seitdem ziellos durch die Gänge und jeden, der ihnen begegnet, mit Absicht oder durch Zufall, töten sie und nehmen
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