Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
Blick. „Sonst kann es gefährlich werden. Besonders, wenn man anderen zur Last fällt.“
„Sie war mir nicht zur Last“, protestierte Ian. „Sie ist leicht wie eine Feder. Und ich würde es gerne jederzeit wieder tun“, verkündete er mit einem breiten Lächeln.
„Gewiss“, zischte die Schlange. „Es gehört aber zu den grundlegenden Künsten der Magier, dass man die eigenen Kräfte richtig einzuschätzen weiß.“ Sie wandte sich zu Anna, die mit dem gesenkten Kopf und hängenden Schultern da stand. „Du musst einsehen, dass du weniger Kraft zur Verfügung hast, als du glaubst. Es ist besser, es sich einzugestehen und es zu akzeptieren. Das ist unverzichtbar aus einem recht pragmatischen Grund: Wenn du davon ausgehst, dass deine Kräfte begrenzt sind, hast du die Freiheit, vorher zu entscheiden, wie du sie verwendest. Dann erhöhst du die Chance, dein Ziel zu erreichen.“
„Ja“, seufzte sie. „Die Grausame hat mehr Kraft und sie kann damit auch viel besser umgehen, wie sie es einleuchtend demonstriert hat.“
„Aber fürs erste Mal habt ihr euch recht gut geschlagen. Das hätten nicht viele fertiggebracht“, sagte Scharta und sah die beiden zufrieden an. „Ich freue mich, euch hier zu sehen“, fügte sie zufrieden hinzu, dann fokussierte ihren fragenden Blick auf den Gögling. „Und den habt ihr dort aufgelesen.“
„Er ist ein kleiner Drache“, erklärte Ian und streichelte ihn sanft über den kahlen Eierkopf. „Er flog zusammen mit der Schar der Drachenseelen im Tunnel. Er war dort eine Wolke.“
Der Gögling lag auf seinem Ellbogenwinkel und schnarchte leise vor sich hin.
„Und wer hat ihm diese Gestalt verpasst?“
„Ich!“ Der junge Mann erwiderte stolz ihren Blick. „Ist er nicht einmalig?“
„In der Tat“, gab sie zu und musterte das graue Bündel eingehend. „So einen habe ich noch nie gesehen und es war schon einiges, was in der langen Zeit vor meine Augen kam.“
„Wenn er nicht schläft, sagt er immer das eine Wort. Das klingt ständig in meinem Kopf. Immer wieder das Gleiche: zuhören, zuhören, zuhören. Weißt du, was das zu bedeuten hat?“
Die Schlange sah nachdenklich ins bläuliche Feuer, blieb so eine Weile, dann wandte sich zu Ian: „Ich glaube, er will dich dazu bewegen.“
„Aber wem muss ich zuhören? Und wieso?“
„Das musst du für dich selbst ausmachen.“
„Scharta?“ Ian ging einen Schritt auf sie zu. „Kannst du mir erklären, was die Grausame meinte, als sie zu mir gesagt hatte, sie schickte mich in den Tunnel, um zu sehen, was die Bewohner dort aus mir machen würden? Sie wollte sie wissen lassen, dass ich sie bereits verraten hätte. Ich grübele die ganze Zeit nach dem Sinn ihrer Worte und komme absolut nicht weiter. Wen soll ich verraten haben? Und warum?“
„Es ist ein Labyrinth“, erwiderte die Hüterin des Wissens bestimmt. „Dort kommen nur sehr wenige wieder heraus und noch weniger vollends unversehrt. Aber diejenigen, die dort raus kommen, werden oft reich beschenkt.“
„Beschenkt?“, fragte Anna. Sie schaute verdutzt die Hüterin des Wissens an.
„Mit etwas anderen Dingen.“
„Das verstehe ich nicht ganz“, gab Ian zu.
„Nun, so ist es immer gewesen und so bleibt es. Kaum jemand kommt aus dem Labyrinth lebend heraus. Und wenn, dann bekommt man etwas mit.“
Er zuckte die Schultern. „Ich weiß nicht. Außer, dass der Gögling dort aufgetaucht war und uns zeigte, wie wir dort schnell rauskommen konnten, war da nichts mehr.“
„Das musst du für dich selbst entscheiden, was du von dort mitgenommen hast. Mit der Zeit wird es dir aufgehen“, versicherte die Schlange. „Aber nun zu deiner Frage.“ Sie bedachte den jungen Mann mit einem bedeutungsschweren Blick, schwieg noch einen Moment, dann sagte: „Es gibt eine uralte Geschichte, die besagt, dass der letzte Drache die Kraft seines ganzen Geschlechts in sich trägt.“
„Davon habe ich gehört“, nickte er.
„Von der Grausamen?“ Ein Hauch von Spott lag in Annas Stimme. Sie hatte eine Fackel genommen und verteilte das bläuliche Feuer über ihre Arme.
„Zum Beispiel“, erwiderte er kühl.
„Diese Kraft will sie haben. Sie glaubt, dass sie dann noch mächtiger, ja unbesiegbar wäre“, erklärte die Hüterin des Wissens.
Ian blickte etwas verlegen. „Nun, das haben wir auch mitbekommen.“
„Du brauchst dich dafür nicht zu schämen. Ob ihr wollt oder nicht, es muss euch klar sein, dass ihr auf dem Kriegsfuß mit der Herrscherin der
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