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Annabel (Amor-Trilogie) (German Edition)

Annabel (Amor-Trilogie) (German Edition)

Titel: Annabel (Amor-Trilogie) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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raschelte.
    Ich erstarrte.
    In den Blättern bewegte sich etwas. Etwas Großes.
    Ein Wegelagerer? Nein. Dafür war der Busch nicht groß genug.
    Dann ein Tier. Ein Leopard?
    Bei einem Leoparden hätte ich keine Chance.
    Meine Füße fühlten sich an, als wären sie in der abbröckelnden Erde verwurzelt. Ich schluckte und griff langsam, langsam, langsam nach der Axt meines Vaters, die am Bündel auf meinem Rücken festgeschnürt war –
    Ein riesiger Buntfasan brach aus dem Gebüsch. Seine kupferfarbenen Schwanzfedern streiften fast mein Gesicht, als er mit aufgeregten Flügelschlägen, die meinen Herzschlag nachzuahmen schienen, hochflatterte. Nachdem er zwischen den Bäumen verschwunden war, ließ ich matt die Hand von der Axt gleiten. Nur ein Vogel. Nur ein Vogel.
    Ich kniff die Augen zusammen und holte tief und ruhig Luft, während die Welt um mich verschwamm. Zu müde, um von Begegnungen mit dem Tod aus der Fassung gebracht zu werden? O Vater – immer diese Lügen, die ich erzähle .
    Mein Magen knurrte laut, was mir ein schwaches Lachen entlockte. Mein Magen scherte sich nicht um Angst. Ich rieb mir mit den staubigen Händen grob übers Gesicht und kletterte dann jenseits des Pfades den Hang hinauf, bis ich eine Gruppe purpurfarbener Büsche fand, die mich verdecken würden, falls unten jemand vorbeikam. Ich ließ mich in den Schutz der Blätter sinken und nahm mein Lederbündel ab. Meine Schultern knackten bei der Bewegung. Ich stöhnte, streckte meine schmerzenden Beine aus und ließ die Füße in den schweren Stiefeln kreisen. Von meinem neuen Aussichtspunkt konnte ich durch die Bäume das helle Glitzern des Wassers erkennen. Der Mesgaofluss. Nun war es nicht mehr weit. Ich brauchte bloß dem Lauf des Flusses zu folgen, er würde mich zu meinem Ziel bringen. Mein Blut pochte vor Hoffnung und Sehnsucht – und Angst.
    Ich hatte so viel durchgemacht.
    Aus Gewohnheit streckte ich die Hand zuerst nach Dads Axt aus. Während ich die Lederbänder aufknotete, mit denen sie am Bündel festgemacht war, nahm ich mir einen Augenblick Zeit, die Klingen zu überprüfen. Die Axt war kostbar, und das nicht nur, weil sie fast das Einzige war, was ich noch von meinem Vater besaß. Wenn ich unterwegs nicht anbieten konnte, Holz zu spalten, baufällige Schuppen abzureißen oder widerspenstige Baumstümpfe auszugraben, gäbe es für niemanden einen Grund, mir etwas zu essen oder einen Schlafplatz auf dem Heuboden anzubieten. Ich konnte mich weder auf mein Glück noch die Barmherzigkeit Fremder verlassen. Beides war im besten Falle ungewiss.
    Nachdem ich zufrieden festgestellt hatte, dass die Axt in gutem Zustand war, schnürte ich das Bündel auf und betrachtete entmutigt den Inhalt. Ich hatte das Vorgebirge überquert und war über die niedrigen Pässe der großen Subira-Bergkette nach Ruan gewandert, sobald das Wintereis getaut war. In den zwei Wochen seither war mir selten Arbeit angeboten worden. Dieser Teil der Welt schien größtenteils von buckligen, wettergegerbten Schaf- und Ziegenhirten bewohnt, die aussahen, als wären sie aus der roten Erde und dem grauen Fels ihrer Gebirgsheimat herausgewachsen. Sie starrten mich an, wenn ich mit meinen großen, plumpen Händen und Füßen, meinen fremdartigen Augen und der Axt vor ihnen stand, und schüttelten wortlos den Kopf. Auf ihren Gesichtern lag eine Mischung aus Misstrauen und Verachtung. Selbst wenn sie meine Hilfe brauchen konnten, hatten sie wenig als Gegenleistung zu bieten. Meine Essensvorräte neigten sich dem Ende zu. Es war mittlerweile nur noch ein Paket getrocknetes, zähes Lammfleisch und der Rest eines herben weißen Ziegenkäses übrig. Den Käse hatte ich mir vor zwei Tagen verdient, als ich in eine Schlucht geklettert war, um eine verirrte Ziege herauszuholen.
    Da es sich länger halten würde, packte ich das Fleisch wieder ein und aß langsam den Käse, wobei ich jeden Bissen möglichst lange kaute. Ich leckte die weißen Krümel von meinen Fingern und spülte sie mit einem Schluck der lauwarmen Flüssigkeit aus meinem halb vollen Trinkschlauch herunter. Wenn ich nicht bald an einem Gehöft oder einem Dorf vorbeikam, wo ich gegen Nahrung arbeiten konnte, müsste ich Fallen aufstellen, um an frisches Fleisch zu gelangen. Bei dem Gedanken an die vergeudete Zeit zuckte ich ungeduldig mit den Achseln.
    Ich musste weiter. Ich musste die Feuergöttin finden.
    Die Stille wurde von einem lauten Määäh unterbrochen, gefolgt vom blechernen Bimmeln einer Glocke.

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