Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
Brustkorb und der Magengegend verkrampften Muskeln, die sich seit Annabells Erstickungsanfall nicht mehr ganz gelöst hatten, unwillkürlich noch stärker zusammenzogen.
Ich führte Annabell zu einem der für Wartende bereitstehenden, unbequemen Kunststoffstühle, damit sie sich setzen konnte, solange ich mit der Anmeldung beschäftigt war, und trat an die Empfangstheke, wo ich zwei Mitarbeiterinnen des Krankenhauses eine gute Nacht wünschte. Die beiden waren an einem seitwärts stehenden Schreibtisch mit einem Computer beschäftigt, der offensichtlich nicht so funktionierte, wie er sollte. Die eine, eine ältere Schwarze mit ergrauendem Haar, saß an dem Schreibtisch und hackte auf die Tastatur ein. Die jüngere der beiden, eine wandelnde Tonne mit Hornbrille, gab ihr vermeintlich hilfreiche Hinweise. Beide mussten bemerkt haben, dass wir hereingekommen waren, denn die Empfangshalle war im Übrigen menschenleer und jeder Schritt hallte auf dem kahlen Boden. Doch sie ließen sich nicht dazu herab, meinen Gruß zu erwidern, geschweige denn ihre Beschäftigung mit dem Computer zu unterbrechen, um sich nach meinem Anliegen zu erkundigen. Vielleicht lag es an meiner Erscheinung. Ich hatte mir in der Eile nur eine Jeans und ein verwaschenes Poloshirt übergestreift.
Ich zwang mich, eine Minute lang geduldig abzuwarten und zollte mir innerlich Lob für diesen weiteren Akt der Selbstbeherrschung. Dann räusperte ich mich geräuschvoll, in der Absicht, nun endlich ihre Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
Vermutlich waren sie derartige Manöver gewohnt. Zwar sah die Ältere kurz von dem Bildschirm auf, mehr aber auch nicht. Die andere machte sich nicht einmal diese Mühe.
„Entschuldigung, die Damen!“, machte ich noch einmal mit maßvoll erhobener Stimme auf mich aufmerksam. „Wenn Sie Ihre Arbeit für einen Augenblick unterbrechen könnten. Wir haben hier einen Notfall und das hier ist doch die Notfallstation?“
Nun war es die Jüngere, die ihren Kopf in meine Richtung wandte, erst mich, dann Annabell missbilligend musterte und mangels augenscheinlicher Stichwunden, Schusswunden oder sonstiger Verletzungen, die Annabell dazu qualifizierten, anders als mit professionellem Desinteresse betrachtet zu werden, beschied, ich möge noch einen Augenblick Platz nehmen. Man sei kurz noch mit einer wichtigen Angelegenheit beschäftigt, würde aber gleich unaufgefordert auf mich zukommen.
Die beiden zuckten zusammen, als der Glasbehälter, der zu dem Zweck auf dem Tresen aufgestellt war, Spenden für irgendeinen guten Zweck zu sammeln, auf meine Veranlassung klirrend auf dem Boden zerbarst und das enthaltene Münzgeld sich in alle Richtungen im Raum verteilte. Erstaunlich schnell schwabbelte die Tonne zu mir an den Tresen und auch ihre Kollegin erhob sich, um zu sehen, was passiert war.
Krankenschwester Roberta Munroe, wie es auf ihrem Namensschild zu lesen stand, sah mich giftig durch ihre dicken Brillengläser an. Ihre grobporigen Nasenflügel bebten vor Entrüstung, als sie anklagend einen speckigen Zeigefinger auf mich und dann auf die Geldstücke richtete und zwischen vom Rauchen vergilbten Zähnen hervorstieß: „Was tun Sie da? Was soll das?“
„Das Glas? Es tut mir leid. Wie ungeschickt von mir“, erwiderte ich ohne eine Spur von Bedauern.
„Das ist Geld für die Kinderstation. Sie werden es auf der Stelle aufsammeln und dann …“
„Ich werde nichts dergleichen tun“, erwiderte ich und der unbedingte Vernichtungswille, der in meinem Blick stand und in meiner Stimme mitschwang, erstickte jeglichen Widerspruch im Keim. Sie hielt es für möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, dass ich über den Tresen springen und ihr die Kehle zudrücken würde, noch bevor ihre Kollegin den Sicherheitsdienst alarmieren konnte, und so oder ähnlich wäre es ihr vermutlich auch ergangen, so geladen war ich angesichts dieser zum Himmel schreienden Arbeitsmoral, die Annabells Behandlung verzögerte. Wie viel besser unser alltägliches Leben aussehen könnte, wenn jeder Einzelne seine persönliche Verantwortung für das Funktionieren des Systems erkennen und sich nur ein wenig mehr Mühe geben würde, seinen Job richtig zu machen. Aber was fand man stattdessen? Dienst nach Vorschrift, Leute, denen alles egal war, denen man beim Gehen die Schuhe besohlen konnte, die sich nicht vorbereiteten. Faules Gesindel. Heute Nacht war ich nicht in der Stimmung, das einfach so hinzunehmen.
„Sie beide dagegen“, fuhr ich fort und die
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