Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
von Gebeten. Die Gedanken kamen automatisch.
Annabell drückte ihre Hände auf die Brust und ihren Hals und rang, immer noch um Luft. „Tu doch endlich etwas! Hilf mir!“ stand in ihrem Blick. Worte brachte sie nicht heraus.
Ohne zu wissen, was ich tat, begann ich, mit der flachen Hand auf Annabells Rücken zu schlagen, wie man es manchmal tut, wenn jemand hustet. Ich kann mich nicht erinnern, ob und was ich währenddessen zu Annabell sagte. Wenn überhaupt war es vermutlich etwas wie „Komm schon! Atme! Atme!“
Und tatsächlich schien sich durch die Schläge etwas in Annabells Atemwegen zu lösen, denn der nächste Hustenanfall warf sie nach vorn, ihr Oberkörper krümmte sich und sie spie einen Klumpen von eitrigem Schleim und Blut auf das weiße Oberbett.
Befreit schnappte sie nach Luft und atmete in tiefen Zügen durch, bevor die Erschöpfung sie überkam und sie - am Ende ihrer Kräfte - auf das Kopfkissen zurücksank.
„Das war knapp“, dachte ich laut.
Annabell starrte mich entkräftet und mit weit aufgerissenen Augen an. Sie schien unter Schock zu stehen und konnte für den Augenblick noch immer nichts sagen.
Doch ich war schon auf den Beinen und begann, eine Tasche zu suchen, um das Notwendigste an Kleidung und Hygieneartikeln hineinzupacken.
„Das reicht jetzt“, erläuterte ich Annabell. „Wir warten nicht bis morgen früh. Dr. Ramseys Fähigkeiten in allen Ehren, aber wir können Dich nicht länger zu Hause lassen. Das eben hätte nicht passieren dürfen. Ich bringe Dich nach Plymouth ins Krankenhaus.“
Das war noch so ein Vorteil dieses ländlichen Lebens: Ein anständiges Krankenhaus lag Meilen entfernt. Doch der Porsche würde schneller sein als jeder Krankenwagen.
Annabell nickte nur. Sie war zu schwach, um zu widersprechen. Vielleicht sah sie auch selbst die Notwendigkeit.
Nachdem ich alles zusammengepackt, im Wagen verstaut und Annabell beim Anziehen geholfen hatte, hob ich sie auf meine Arme, trug sie vorsichtig die Treppe hinunter und half ihr, in den Wagen zu steigen. Sie schien mir schon jetzt, noch leichter zu sein, als zuvor.
„Es tut mir leid, dass ich Dir solche Umstände mache“, sagte sie mit matter Stimme, als wir, jegliche Geschwindigkeitsbeschränkungen missachtend, durch die Nacht schossen, „Du wirst morgen früh todmüde sein. Und Du hast sicher wichtige Sachen zu erledigen.“
„Mach Dir darüber keine Sorgen, „entgegnete ich. „Du kannst doch nichts dafür. Und es kann nichts Wichtigeres geben, als dass Du bald wieder gesund wirst. Und im Krankenhaus bist Du besser aufgehoben als bei uns zu Hause.“
„Ja, das stimmt.“
Nach einer Weile sagte sie nachdenklich: „Ich war schon so oft da. Mit dem Reverend, meine ich. Bei den Kindern. Aber ich war noch nie als Patientin dort. Ich war noch nie selbst in einem Krankenhaus.“
Die Vorstellung schien ihr Angst zu machen, also versuchte ich, sie zu beruhigen: „Na, dann kennst Du doch bestimmt schon einige der Ärzte, oder?“
„Ja, einige kenne ich.“
„Na siehst Du. Man wird sich sicher gut um Dich kümmern. Und bis morgen früh bleibe ich bei Dir. Wenn ich von Plymouth aus ins Büro fahre, bin ich sogar schneller da.“
Das schien sie zu beruhigen, denn sie sagte nichts weiter, bis wir um 3.57 Uhr auf den Campus des Plymouth General Hospital abbogen.
57. Kapitel
Das Plymouth General liegt an einer von Bäumen und Rasenflächen gesäumten ländlichen Straße mit großzügig geschnittenen Grundstücken und zurückgesetzten Wohnhäusern. Das Gelände ist, wenn man aus Richtung South Port kommt, auf der linken Seite der Straße hinter einer mannshohen immergrünen Hecke versteckt, sodass man es leicht verfehlen kann, wenn man nachts mit über einhundert Meilen pro Stunde unterwegs ist. Trotz Navigationssystems verpasste ich den ersten Abzweig, machte eine Vollbremsung und setzte mit quietschenden Reifen erst rückwärts und dann auf den Campus. Die Straße führte uns vorbei an Parkbuchten eine sanfte Anhöhe hinauf und direkt vor den Eingang zum Notfallbereich im B-Flügel des Gebäudekomplexes. Ich parkte den Wagen direkt vor dem Eingang und half Annabell auszusteigen.
„Heh, Sie können hier nicht parken. Die Parkplätze sind gleich da vorn“, rief uns ein Passant zu, der ausweislich seiner Kleidung zum Personal gehörte. Ich ignorierte ihn und wir betraten die Emergency Unit. Die von Desinfektionsmittel geschwängerte Krankenhausluft führte dazu, dass sich die in meinem
Weitere Kostenlose Bücher