Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
hervor und hielt ihr einen Hundertdollarschein hin.
„Machen Sie sie bitte bald wieder gesund.“
„Mr. Meyers“, wehrte sie verlegen, aber bestimmt ab, „das kann ich beim besten Willen nicht annehmen. Wirklich nicht. Ich kümmere mich, so gut ich kann, um alle meine Patienten. Das ist mein Beruf. Dafür bekomme ich mein Gehalt. Sie brauchen mir nichts zusätzlich zu geben.“
Ich dankte ihr, steckte den Schein wieder ein und verabschiedete mich. Danach verabschiedete ich mich von Annabell:
„Lass Dich gut pflegen, hörst Du? Wenn Du irgendetwas brauchst, wende Dich an Schwester Joyce oder ruf mich im Büro an.“
„Mach ich. Ich vermisse Dich jetzt schon.“
Sie sah traurig aus, aber ich musste los. Es war nicht zu ändern. Zwei frühe Termine würde ich ohnehin schon nicht wahrnehmen können.
„Ich versuche, so früh wie möglich wieder hier zu sein.“
Ich umarmte sie ganz fest und hörte gerade noch rechtzeitig auf, sie auf Wangen und Mund zu küssen, als Schwester Joyce mit dem Frühstück und einer Tageszeitung hereinkam. Meine Kreditkarte war also zumindest für die neuesten Nachrichten gut und was die Krankenversicherung nicht bezahlen würde, würde ich mir vom Reverend erstatten lassen, der als Treuhänder Annabells Kapitalvermögen verwaltete, bis sie einundzwanzig war oder heiratete.
Ich musste bei Gelegenheit endlich in Erfahrung bringen, wie viel Geld sie eigentlich hatte bzw. wie lange es reichen würde. Annabell erhielt jeden Monat eine feste Zuweisung für die Unterhaltung des Hauses und den Lebensbedarf auf ein Konto, über das ich als ihr Vormund verfügen konnte. Mit diesem Geld wären allerdings die Behandlungskosten nicht zu bezahlen.
Auf dem Weg nach Boston rief ich Margery an und ließ sie die Frühtermine verlegen. Es waren leitende Mitarbeiter wichtiger Mandanten, die nicht erfreut sein würden, dass ich ihnen so kurzfristig absagte. Doch auch so war der Tag noch vollgepackt mit Besprechungen. In den kurzen Pausen zwischendurch informierte ich erst McCandle und den Richter und anschließend Cathy über den Stand der Dinge. Margery setzte ich darauf an, herauszufinden, wer der Chefarzt von Annabells Abteilung war, und ließ sie einen Termin mit ihm für 18.30 Uhr vereinbaren.
Der Tag verrann und ich hatte nicht einmal die Hälfte meines Arbeitspensums geschafft, als ich um 17.45 Uhr wieder ins Auto stieg und nach Plymouth jagte.
Clive Mercer, M.D., der zuständige Chefarzt, empfing mich in seinem Büro, das für meinen Geschmack ein wenig eng war – nur etwa halb so groß wie meines. Darin drängten sich ein vollgepackter Schreibtisch und Regale, die nicht genügend Platz für all die medizinischen Fachbücher boten, die dort verstaut waren. Auf einem Sideboard stapelten sich Fachzeitschriften und Aktenordner. An der Wand darüber hingen Urkunden und akademische Auszeichnungen neben Fotos, die Dr. Mercer mit seiner Frau und zwei Kindern an den verschiedensten Orten zeigten.
Dr. Mercer selbst mochte Mitte fünfzig sein. Er hatte Millimeter kurz geschorenes, weißgraues Haar und hagere Züge und machte den Eindruck eines Marathonläufers. Tatsächlich zeigte ein Foto ihn in einer Läufermenge in New York.
„Mr. Meyers, nehmen, Sie doch bitte Platz“, lud er mich ein. „Ich kann mir vorstellen, dass Sie gespannt sind, zu erfahren, wie es Ihrer Schwester geht.“
Er zog eine Patientenakte aus einem Stapel und schlug sie auf.
„Annabell Lillian Margaret. Da haben wir sie. Sie wissen sicher, dass Ihre Schwester Annabell unserem Haus schon seit Längerem verbunden ist? Ich habe es heute beim Mittagessen von meinem Kollegen Dr. Cliffton von der Kinderstation erfahren.“
Das konnte nur bedeuten, dass der Reverend mit diesem Dr. Cliffton gesprochen hatte.
„Ja“, antwortete ich, „sie besucht nun wohl schon seit über zwei Jahren zusammen mit unserem Reverend McCandle Ihre kleinen Patienten und bemüht sich, ihnen die Zeit hier angenehm zu machen. Sie liest ihnen vor oder spielt mit ihnen.“
„Das ist eine sehr wertvolle Arbeit, die Ihre Schwester da leistet. Eine bemerkenswerte junge Dame. Umso mehr wollen wir uns bemühen, ihr zu helfen. Mir liegen inzwischen die Ergebnisse der Blutuntersuchung vor und wie es aussieht, lassen sich Substanzen nachweisen, die einen bakteriellen Befall der Lunge belegen. Wir haben einen Verdacht, um was für einen Erregertypen es sich handelt und werden dementsprechend geeignete Antibiotika verabreichen. Ich gehe davon aus, dass
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