Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
umhergeht.“
Mir wurde ganz flau im Magen. Jetzt ist es aus, dachte ich. Jemand hatte es entdeckt. Meine Beziehung zu Annabell war aufgeflogen. Es musste ja so kommen.
Heppleton wusste meinen Gesichtsausdruck nicht zu deuten und sah mich irritiert an.
„Ist Ihnen nicht wohl?“, erkundigte er sich vorwurfsvoll –drängte sich ihm da womöglich ein weiterer Patient mit seinen unbedeutenden Malaissen auf, während er sich an einem frischen Kaffee erfreute? Um diese unglückliche Situation von vornherein abzuwenden, fuhr er ohne eine Antwort abzuwarten fort: „Ich meine, wie man so hört, sind Sie Steueranwalt. Ist es nicht so?“
Ein Stein fiel mir vom Herzen.
„Ja, das ist das, was ich beruflich tue“, korrigierte ich ihn.
Es lag vermutlich an der persönlichen Abneigung ihm gegenüber, dass ich meine Person nicht auf meine Stellung bei Westbury Hawthorne & Clarke reduzieren lassen wollte, während er sich ganz als Arzt – von Gottes Gnaden Arzt von South Port – Sohn des Apollon – Gott der Heilkunst – wahrnahm.
„Na, das sag ich ja“, ignorierte er meine Unterscheidung. „Ich habe gleich den Eindruck gehabt, dass Sie der Weihen der höheren Bildung teilhaftig geworden sind. Lionel, habe ich mir gesagt, das ist ein Mann, mit dem man reden kann – von gleich zu gleich sozusagen – von einem Vollakademiker zum anderen. Darf ich fragen, wo Sie abgeschlossen haben?“
„Eine kleine Universität im Norden. Sie werden sie vermutlich nicht kennen.“
„Ach nein? Vermutlich nicht. Na ja: Schwamm drüber.“
Er schien enttäuscht, beinahe peinlich berührt, kam aber nun endlich zur Sache:
„Jedenfalls ist es so: Ich habe ein wenig Geld geerbt. Nein, eigentlich ist es ein ganz erkleckliches Sümmchen.“
Er hielt einen Moment lang inne und wartete darauf, an meinem Gesichtsausdruck ablesen zu können, wie er in meiner Wertschätzung zunahm, und dass ich darauf brannte, die Größenordnung seiner Erbschaft in Erfahrung zu bringen. Als er weder das eine noch das andere feststellen konnte, tastete er sich weiter zum Kern seines Anliegens vor:
“Und selbst hier auf dem Lande – man bekommt ja nun so einiges mit – man liest und man hört, was so vor sich geht – jedenfalls möchte man das Geld doch möglichst steuergünstig investieren, und es gibt doch diese Offshore-Kapitalgesellschaften und Trusts, und da habe ich mich gefragt – ein freundschaftlicher Rat von Ihnen“ – was er damit meinte war ‚ein unentgeltlicher Rat‘ – „es geht immerhin um fast 220.000 Dollar, die…“
Wirken die Attitüden mancher Multimillionäre in den Augen von Milliardären ebenso lächerlich? Ich musste an Craig, Zach und mich denken. Verhielten wir uns manchmal auch so?
Ich schnitt ihm das Wort ab:
„Ich fürchte, Dr. Heppleton, ich muss Sie enttäuschen. Von derlei Dingen verstehe ich leider nichts. Außensteuerrecht und internationale Gestaltungen, das ist alles überaus kompliziert. Da muss man schon ein echter Experte sein. Und bei einer Anlagesumme, wie der Ihren … Schon allein das Haftungsrisiko …“
„Nun“, entgegnete er und wechselte wieder in seinen herablassenden Tonfall, „ich dachte mir schon, dass sich nicht jeder gewöhnliche Anwalt auf diesem Gebiet auskennt. Bei uns Ärzten ist es ja nicht anders. Es gibt einige Kollegen, deren Kenntnisstand man nachsichtig als verbesserungswürdig bezeichnen kann. Quacksalber geradezu.“
Er trank seinen Kaffee aus und erhob sich.
„Ja, so etwas ist bedauerlich“, stimmte ich zu, „aber es gibt in Boston tatsächlich eine Kanzlei, die sich mit der Thematik auskennt, um die es Ihnen geht.“
„So? Und welche wäre das wohl?“
„Sie heißt Baker & Butcher. Fragen Sie nach Mr. Bernard St.Clair.“
Er notierte die Namen, nickte knapp und verschwand.
56. Kapitel
Ich besorgte das Mittel, das Dr. Heppleton verordnet hatte, in der Stadt. Als ich zurückkam, wälzte Annabell sich in Fieberträumen unruhig hin und her. Ich setzte mich zu ihr auf das Bett und strich ihr sanft über den Arm.
„Mein armer, kleiner Engel“, flüsterte ich.
Sie beruhigte sich unter meiner Berührung, doch ich musste leicht an ihr rütteln, bis sie wach wurde. Sie sah mich an und ein mattes Lächeln hellte ihr fahles Gesicht auf.
„Wie geht es Dir?“, fragte ich und küsste sie zart auf die Stirn.
„Es geht schon“, log sie tapfer, doch sogleich schüttelte der Husten ihren Körper. Sie wollte sich aufrichten, fasste sich aber an den
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