Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
Baker & Butcher.“
„Sie glauben den Gerüchten, die Hawthorne streut also nicht?“
„Wir haben da ja nun zwei Gerüchte. Das eine lautet, Sie wären eine verantwortungslose Null, die schweren wirtschaftlichen Schaden anrichtet, wenn man sie an wichtige Fälle setzt. Ich stelle Sie ein unter der Voraussetzung, dass das nicht mehr ist als üble Nachrede. Wenn Sie keine gute Performance bringen, sind Sie draußen, Meyers. Das versteht sich doch von selbst. Und dann wird es in den ganzen verdammten Staaten wirklich keine ernst zu nehmende Kanzlei geben, die Ihnen noch eine Chance gibt. Dafür sorge ich. Die andere Geschichte, die, dass Sie es mit Ihrer kleinen Teeny-Schwester treiben – unter uns gesagt: Es ist mir im Grundsatz vollkommen schnuppe, ob da was dran ist. Für mich kommt es darauf an, welchen Erfolgsbeitrag für Baker & Butcher jemand leistet. Was er zu Hause macht, geht mich nichts an. Wenn Sie auf kleine Mädchen stehen, bitte. Mein Geschmack ist das nicht, aber es gibt da ja so manchen, den es … amüsiert. Ich habe einen guten Mandanten, der Ihre Neigungen teilt. Er verfügt über Kontakte zu ... wie soll ich sagen … Dienstleistern, die richtig frische Ware im Angebot haben – elf – vielleicht auch acht oder sieben Jahre alt, wenn das etwas für Sie ist. Was ich damit ausdrücken will: Einiges ist machbar, wenn wir uns über die Vertragsbedingungen einig werden. Als zusätzliches Bonbon sozusagen.“
„Sie haben also keine Angst, dass jemand das Gerücht über mich und meine Schwester in die überregionale Presse bringt? Das war Hawthornes große Sorge.“
„Firlefanz. Das zeigt doch nur, dass der alte Mann keine Fantasie mehr hat. Selbstverständlich müssen wir vorsorgen.“
„Und an was für eine Art von Vorsorge haben Sie gedacht? Sollen wir es zuerst in die Presse bringen, um den Zeitpunkt zu bestimmen und dann alles dementieren? Im Gefängnis nutze ich Baker & Butcher wenig.“
„Natürlich nicht. Wir ersticken ein Gerücht im Keim, indem wir es durch ein harmloseres ersetzen. Wir denken uns irgendwas aus. Vielleicht lassen wir Sie in einer Schwulenbar ablichten und spielen das Foto der Presse zu, kurz nachdem wir Ihre Assoziierung bekannt gegeben haben. Die Leute heutzutage lieben doch eigentlich diese Tunten und Transen und wie sie auch immer heißen. Sie sind harmlos und man kann wunderbar über sie lästern. Hinzu kommt: Wir haben noch keine Schwuchteln hier. Offen gestanden: Ich fühle mich nicht ganz wohl bei diesen warmen Brüdern und will nach Möglichkeit auch keine um mich haben. Liebe zwischen Männern – das ist doch widernatürlich und ekelerregend. Aber was soll man machen. Man muss mit der Zeit gehen, flexibel sein. Wir wollen das Image einer konservativen, traditionsverbundenen aber gleichzeitig jungen, dynamischen und modernen Kanzlei abgeben. Wir wollen alle ansprechen. Sie würden die Quote erfüllen. Dass ein paar Leute sich das Maul über Sie zerreißen, wird Ihnen schon nicht wehtun. Aber wenn dann der Gestank dieser Geschichte mit ihrer Schwester aus Ihrem kleinen Kaff hier herüberweht, glaubt sie kein Mensch mehr. Alles, was Sie dann tun müssen, ist, ein bisschen vorsichtiger zu sein mit Ihrer Schwester. Ist sie wirklich erst dreizehn? Ich hoffe, sie macht freiwillig mit. Ich meine, es wäre unschön, wenn durch die Kleine selbst irgendwann was durchsickert oder der Schularzt Blutergüsse feststellt. Sie haben die Sache doch im Griff, oder?“
„St.Clair“, ich erhob mich nun abermals, „Sie widern mich an, wissen Sie das.“
St.Clairs Gesichtszüge entgleisten und er sah mich mit vor Überraschung geweiteten Augen an.
„Ich weiß nicht, wer der größere Verbrecher ist: ihr spezieller Mandant oder Sie. Ich hatte bisher gedacht, das heuchlerische Pack von South Port wäre mies, aber wenn ich Ihre ‚moralische Flexibilität‘ erlebe, muss ich erkennen, dass es noch mieser geht. Auf Wiedersehen – obwohl nein: Ich hoffe aus tiefstem Herzen, dass wir uns nicht wieder sehen, niemals wieder, denn schon Ihr bloßer Anblick ruft in mir einen intensiven Ekel hervor.“
Ich verließ das Büro von Baker & Butcher in dem sicheren Bewusstsein, dass ich in Boston nicht mehr als Anwalt würde arbeiten können. Aber offen gestanden, wollte ich auch nichts weniger:
Ich war dabei gewesen, mich wieder zu einer Maschine des Erfolgs, einem Diener fragwürdiger Herren, einem Sherpa bei einem Aufstieg ohne Ziel zu machen. Wenn ich auch nicht wusste, wie es
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