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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Neblin
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Gewinnerteam.“
    „Natürlich, Sir. Daran zweifle ich nicht.“
    „Ach und, Ethan: Versuchen Sie, den unfreiwilligen Urlaub zu genießen. Wir werden ihn auf Ihren Jahresurlaub anrechnen.“
    Er legte auf.
    Na, besten Dank, Sir. Aber ich hatte ohnehin nicht vorgehabt, meine vollen zwanzig Urlaubstage in Anspruch zu nehmen. Nur Verlierer nahmen Urlaub. Hawthorne selbst nahm fünf Tage im Jahr.
    „Es ist doch schon wie ein kleiner Urlaub, wenn ich unsere anderen Niederlassungen besuche“, pflegte er zu sagen.
    Da stand ich nun: Den Kurzurlaub genießen. In diesem Kaff. Mit diesem Balg. Dem Bastard meines Vaters mit dieser Schlampe, für die er uns verlassen hatte. Nun gut. Was sein musste, musste eben sein.
    Unfreiwillig kam mir ein Text in den Sinn, der während meiner Schulzeit im Klassenraum gehangen hatte:
    „Gib uns die Entschlossenheit zu ändern, was zu ändern ist, die Kraft zu erdulden, was nicht zu ändern ist und die Einsicht, den Unterschied zu erkennen.“
    Merkwürdig, woran man sich manchmal erinnert. An dieser Stelle brauchte es keine große Einsicht, den Unterschied zu erkennen. Ich war gestrandet.
    Doch wenn mein Schicksal mir diese Robinsonade aufbürdete, würde ich versuchen, das Beste daraus zu machen - das hatte ich mir heute schon einmal vorgenommen. War ich denn mehr als ein zeitgenössischer Robinson, gezwungen auf dieser provinziellen Insel jenseits der Zivilisation die Eingeborenen zu zähmen?
    Ich ging zu meinem Wagen. An der Windschutzscheibe flatterte ein Strafzettel. Der Zweite an diesem Tag.
    Das musste man dieser Stadt lassen: Wenn man auch den Herren Richtern samt Gefolge beim Gehen die Schuhe besohlen konnte, ein Verstoß gegen die hehren Regeln der öffentlichen Ordnung wurde umgehend geahndet.
    Ich zerknüllte das Ticket und warf es in Richtung Eingangstür. Dann stieg ich in den Wagen, drehte „Sweet Home Alabama“ so laut auf, dass Rutherford es hören musste, und fuhr in Richtung Hafen.

15.      Kapitel

 
 
    Es ist verwunderlich, dass South Port es nicht in die Liga der angesagten Küstenorte geschafft hat, die von der Elite des Staates an den Wochenenden bevölkert werden. Es ist zugegebenermaßen das Postkartenidyll eines Küstenorts schlechthin. Jeder Tourist, der Neuengland besucht, kann sich glücklich schätzen, wenn es ihn dorthin verschlägt. Was für die Stadt im Allgemeinen gilt, gilt im Besonderen für den Hafen und seine Umgebung - wenn ich auch damals angesichts meines Zwangsaufenthalts kein Auge für diese Schönheit hatte.
    Das Hafenbecken hat eine überschaubare Größe und ist in der Form einer Niere angelegt. Auf der linken Seite liegt der Sporthafen. Hier schaukelten kleinere Segel- und Motorboote im dunkelgrünen Wasser zwischen den Holzstegen, die sich mit den Gezeiten heben und senken, nicht die mondänen Jachten, die ich aus dem Yacht-Club kannte, in dem Craigs und Zachs Familien Mitglieder waren. Ein schlanker Segler von etwa zehn Meter Länge mit leuchtend rotem Rumpf, silbrig blitzender Rehling und einem gutgebräunten Kapitän in kurzen weißen Hosen und zitronengelbem Poloshirt am Steuerrad manövrierte gekonnt von seinem Liegeplatz die Reihe der Boote entlang zur Ausfahrt.
    Die rechte Seite beherbergt den Fischereihafen. Hier herrschte rege Betriebsamkeit. Vier alte Kutter, die bereits von ihrem nächtlichen Fischzug heimgekehrt waren, lagen am Kai. Die Mannschaften waren dabei, ihren Fang auszuladen, die Boote zu schrubben oder Netze zu flicken. Den Booten gegenüber standen kleine Stände, an denen die Fischer ihren frischen Fang an Touristen oder Stadtbewohner verkauften. Größere Mengen Fisch wurden in mit Eis bedeckten Kisten in den Lastwagen eines Händlers verladen. Ein Fischer im aufgeknöpften karierten Flanellhemd, das seinen muskulösen Oberkörper erkennen ließ, trug einen Korb mit zappelnden Hummern zu einem Pickup mit der Aufschrift „Nick’s Bayview Restaurant“. Jetzt in den Sommermonaten war die Hauptfangsaison für Hummer, da sich die Tiere in den flacheren Küstengewässern aufhielten.
    In meiner unmittelbaren Nähe drängte sich eine Gruppe Ausflügler und eine Grundschulklasse samt Lehrern um ein Kassenhäuschen, auf dem die Nachmittagsfahrt zum „Whale Watching“, eine Schiffstour zum Beobachten von Walen, angepriesen wurde - dem Plakat zufolge Finnwale, Glattwale, Zwergwale und Buckelwale. Wie ich später erfuhr, war South Port im achtzehnten und Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ein bedeutendes

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