Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
ein wenig zu beeindrucken. Ein Glück.
„Hast Du auch Musik?“, fragte sie – fast ein wenig herausfordernd.
Ich stellte die Springsteen-Zusammenstellung an und suchte nach einem bestimmten Track. Ein lang gezogenes Intro von „I’m on fire“ schlängelte sich vorsichtig aus den Boxen. Unauffällig, ganz allmählich begann die Musik, den Wagen auszufüllen, nahm an Intensität zu und wand sich um Annabell, die sich dem eindringlichen Rhythmus bereitwillig öffnete. Unwillkürlich fing sie an, sich im Takt auf ihrem Sitz zu bewegen und als die Musik anschwoll und ich die Lautstärke noch weiter erhöhte, war sie endgültig gefangen und summte wie hypnotisiert mit. Ich fragte mich, ob ihr klar war, warum ich gerade dieses Stück gewählt hatte, denn als es vorbei war, bat sie mich, es noch einmal zu spielen und dann noch einmal.
Viel zu bald waren wir in der Stadt angekommen. Wir trennten uns von Onkel Charlton und hielten im Parkverbot vor Stevenson’s, einem der beiden Herrenausstatter von South Port. Es war nicht mit den Geschäften in Boston zu vergleichen, aber akzeptabel. Ich kaufte innerhalb einer Viertelstunde Badeshorts mit hawaiianischem Blumenmuster, Poloshirts, Hemden mit weichem Button-Down-Kragen, eine weiße Leinenhose mit hellblauen Streifen, mehrere Chinos, drei dünne Pullover, Unter- und Nachtwäsche, ein Paar leichte Bootsschuhe und ein Paar Flip-Flops. Nach einem anschließenden Café au lait im Central Café machten wir uns auf den Heimweg.
25. Kapitel
Gegen Mittag wollten wir zum Strand aufbrechen. Umgezogen, eingecremt und mit einem Panamahut behütet, der einmal Annabells Großvater gehört hatte, wartete ich auf der Terrasse …
… als es klingelte.
Ich ging zur Tür, öffnete und sah mich der Teen-Queen gegenüber, die zusammen mit der Mausblonden draußen wartete.
„Cathy, nicht wahr? Kommt doch bitte rein“, empfing ich sie.
Cathys blaugraue Augen weiteten sich in einem Ausdruck verständnisloser Überraschung. „Hallo …“, war alles, was sie zustande brachte, als sie in die Eingangshalle trat.
„Hallo, ich bin Ethan.“ begrüßte ich die Mausblonde.
„Hi, Ethan. Ich bin Jennifer“, antwortete diese und fügte ein wenig schüchtern hinzu: „Alle nennen mich Jen.“
„Hi, Jen.“
„Was machst Du hier? … bist Du etwa Annabells Bruder?“ Cathy hatte sich genug gefangen, um den naheliegenden Schluss zu ziehen, und stellte die Frage mit einem flirtenden Unterton. Sie trug äußerst knappe Shorts und ein bauchfreies Top, das ihre Brüste betonte.
„Ethan Meyers, zu Euren Diensten“, sagte ich lächelnd und deutete eine Verbeugung an. Es konnte nicht schaden, wenn Annabells Freundinnen verrückt nach mir waren, dachte ich mir.
„Cathy, Jen. Ihr seid schon da.“ Annabell schwebte die Treppe herunter, einen bunten Pareo um Brust und Körper gewickelt, eine Sonnenbrille im Haar. Sie sah geradezu elegant aus im Vergleich zu Cathy, doch ich war ungeduldig genug, die schöne Verpackung gering zu achten und den Mangel an nackter Haut zu bedauern. Unruhig fieberte ich dem Augenblick am Strand entgegen, in dem ihre Hüllen fallen würden.
Wir gingen zu viert durch den Garten zu unserem Aussichtsplateau und von dort aus nahmen wir den schmalen Pfad auf der linken Seite, der uns durch die Felsen zum Strand führte. Dort angekommen zog ich die Schuhe aus und spürte den warmen Sand zwischen den Zehen. Ich war schon zu lange nicht mehr an einem Strand gewesen und die feinen Körner fühlten sich ungewohnt angenehm an.
Auf unserem Weg waren Annabell und Jen vorausgegangen. Cathy hatte sich zurückfallen lassen und unentwegt auf mich eingeredet. Von der South Port High, dass sie aus South Port weg wollte, das auch sie als provinzielles Nest empfand - vielleicht nach Boston oder New York -, dass sie sich vorstellen könnte, eine erfolgreiche Anwältin zu werden. Es sei ja so großherzig von mir, mich um meine kleine Schwester zu kümmern.
Sie hatte ja keine Ahnung wie großherzig.
Ich ließ Cathy reden und hörte ihr ganz überwiegend nicht zu, lenkte aber schließlich das Gespräch unauffällig auf Annabell.
„Annabell hat noch nicht so viel Erfahrung mit Jungs. Sie hatte bis jetzt noch keinen richtigen Freund“, erklärte Cathy im Laufe des Gesprächs in überlegenem Tonfall, der deutlich machen sollte, dass das bei ihr anders war.
„Und wie kommt’s?“, fragte ich, ohne mir anmerken zu lassen, dass es nun endlich spannend für mich
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