Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
Films gespannt darauf, dass Jason Annabells Hand nehmen würde. Meine Augen- und Nackenmuskulatur schmerzte von den unauffälligen Seitenblicken, doch ich wollte kein Risiko eingehen. Im Fall des Falles würde ich eine akute Magenverstimmung oder Ähnliches vortäuschen und den Kinoabend vorzeitig abbrechen. Aber die Notwendigkeit ergab sich nicht. In dem Augenblick, in dem Jason es einmal versuchen wollte, griff Annabell nach ihrer Limonadenflasche und Jason auf eine leere Armlehne. Nur mit Mühe konnte ich mir das Lachen verkneifen. Danach versuchte er es nicht wieder. Amateur! Zu leicht zu entmutigen.
Die Frage, die sich nun aufdrängte, war, ob Annabell möglicherweise absichtlich die Hand weggezogen hatte? Ich entschied, dass es wohl ein glücklicher Zufall gewesen sein musste. Der Film gefiel mir zwar ab diesem Zeitpunkt umso besser. Doch nachdem ich das glückliche Paar auf der Leinwand gesehen hatte, geschah etwas Merkwürdiges: Ich begann, mich zu fragen, ob Annabell es nicht verdiente, ebenso glücklich zu sein und ob sie es jemals mit mir würde sein können.
27. Kapitel
Nach der Vorstellung spazierten wir zum „Café Venezia“, einer Eisdiele in der Nähe des Hafens. Ich bestellte einen großen Becher mit Nuss- und Schokoladeneis, verschiedenen kandierten Nüssen und Schlagsahne. Annabell nahm ein kleines Spaghettieis, die beiden anderen Fruchtbecher. Es war köstlich. Ein guter Abschluss für einen bislang alles in allem doch ganz gelungenen Tag. Wenn ich ehrlich war, hätte ich ihn nicht mit einem Tag in der Kanzlei und einem Besuch im Toxic oder den anderen Clubs, die meine Freunde und ich in Boston zu besuchen pflegten, eintauschen mögen.
Nachdem ich das Eis bezahlt und dem Kellner ein auffälliges Trinkgeld hatte zukommen lassen, um meine Großzügigkeit noch weiter zu betonen, machten wir uns auf den Rückweg zu unseren Autos. Die Abendluft war sommerlich lau, die Straßen schon beinahe menschenleer. Hier und da trafen wir auf ein paar Einheimische, die durch die Straßen schlenderten, oder Touristen, die nach dem Weg fragten. Das war South Port: Kaum war meine übliche Zeit zum Ausgehen gekommen, klappten sie hier die Bürgersteige hoch.
Zum Ärger von Jason, den ich nur erahnen konnte, eröffnete ich, dass ich sowohl Cathy als auch Annabell nach Hause fahren würde, da das Haus von Cathys Familie auf unserem Weg lag, Jason dagegen in der entgegengesetzten Richtung wohnte.
Doch als wir beinahe an unserem Parkplatz angekommen waren, war der Ärger auf meiner Seite. Denn mir fiel auf, dass etwas fehlte. Verdammter Pullover! Ich hatte ihn im Eiscafé über meinen Stuhl gelegt und ihn beim Verlassen des Lokals nicht mitgenommen. Also machte ich kehrt, um ihn zu holen. Er war zwar nicht übermäßig teuer gewesen, doch ihn einfach liegen zu lassen, hielt ich für Verschwendung. Die anderen Drei wollten schon einmal vorgehen.
Ich beeilte mich und schaffte den Weg zurück in der Hälfte der Zeit, die wir gebraucht hatten. Der Pullover war schon gefunden worden und so machte ich mich samt seiner schnellen Schrittes auf den Rückweg. Ungefähr zehn bis fünfzehn Minuten, nachdem ich die anderen verlassen hatte, bog ich in die Gasse ein, die zum Parkplatz führte. Es war trotz des Mondscheins dunkel, die Straße nicht beleuchtet, so dass ich aufpassen musste, um nicht in eines der vielen Schlaglöcher zu treten. Was für ein Zustand. Hier war dringend eine Reparatur nötig.
Von Weitem konnte ich die Drei an meinem Wagen sehen. Der Parkplatz war inzwischen fast völlig leer, so dass kein Auto den Weg versperrte. Doch beim Näherkommen stellte ich fest, dass es nicht Jason und Cathy waren, die da mit Annabell warteten.
Schnell jetzt!
Ich rannte.
Unbändiger Zorn loderte in mir auf und entflammte die Muskeln meiner Beine.
Annabell stand mit dem Rücken zur Beifahrertür. Sie wurde gegen den Wagen gepresst. Ein kahl geschorener stämmiger Kerl hielt ihre nach oben gespreizten Arme, die in seinen riesigen Pranken wie Streichhölzer erschienen, an den Unterarmen fest und beugte sich über sie. Ein Zweiter mit kurzen schwarzen Haaren stand daneben.
Noch zwanzig Meter.
Das Wettschwimmen war vergessen. Jeder Muskel in meinem Körper war gespannt und schrie nach Vernichtung.
Die beiden Männer sahen aus wie Motorrad-Gangster. Sie trugen nietenbesetzte schwarze Lederwesten und Lederstiefel. Der riesenhafte Glatzkopf, den ich auf Anfang zwanzig schätzte, trug eine Lederhose, an deren
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