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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Neblin
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weiter mit ihm ringen müssen, wann immer er sich zeigte, ihn irgendwie bezwingen.
    Mit diesem Vorsatz und Annabell neben mir schlief ich im Sessel ein.

29.      Kapitel

 
 
    Ich verbrachte eine unruhige Nacht. Erst durchlebte ich den Kampf noch einmal, nur dass der Glatzkopf mich schließlich zu Boden zwang und mir das Messer an die Kehle setzte. Schweißnass schreckte ich auf. Dann sah ich Annabell neben mir, die seelenruhig schlief, und mir wurde klar, dass es nur ein böser Traum gewesen war. Ich schlief wieder ein und diesmal träumte ich von Annabell. Aber es war kein anstößiger Traum. Ich hielt sie im Arm. Wir küssten uns. Ihre Lippen waren so weich. Es war ein herrliches Gefühl. Dann veränderte sich etwas. Irgendetwas stimmte nicht. Ich konnte nur nicht sagen, was es war. Es war kalt. Dann war Annabell verschwunden. Sie fehlte mir und ich war unendlich traurig.
    Ich wachte wiederum auf. Mein Herz schlug schnell. Doch da war keine Kälte. Die Sonne strahlte in Annabells Zimmer und umgab Annabell mit ihrem warmen und hellen Schein.
    Wie mädchenhaft sie aussah, während sie schlief. So unschuldig-rein. So süß. So anziehend. Aber ich würde sie nicht anrühren, so verlockend der Traum-Kuss auch gewesen war. Jetzt nicht mehr.
    Ich wollte aus dem Sessel, der mein Nachtlager gewesen war, aufstehen, doch ich konnte mich kaum bewegen. Meine Muskeln waren über Nacht steif gefroren. Jede Bewegung schmerzte. Man sollte nicht im Sitzen schlafen. Ganz vorsichtig bewegte ich mich aus dem Sessel und zog die Vorhänge gänzlich beiseite. Keine Wolke am Himmel. Meine Uhr zeigte kurz vor halb neun. Ich machte mich daran, mich hinauszuschleichen, doch Annabell wurde wach.
    „Guten Morgen, Schwesterherz“, flüsterte ich. „Gut geschlafen?“
    „Ja. So gut, wie schon lange nicht mehr“, sagte sie glücklich und gähnte.
    Wie gut sie den gestrigen Abend verkraftet hatte. Man konnte nur staunen.
    „Bleib doch noch einen Moment liegen. Heute mache ich das Frühstück.“
    Ich ging hinunter in die Küche und bekam trotz einiger Schwierigkeiten ein ganz passables Frühstück hin.
    „Was wollen wir heute machen?“, fragte ich nach einer Portion Porridge.
    „Heute ist Sonntag. Ich würde gern in den Gottesdienst gehen.“
    Ich runzelte die Stirn.
    „Würdest Du mich begleiten?“, fragte sie zaghaft. Sie hatte an meinem Gesichtsausdruck abgelesen, dass ich nicht viel von derartiger Frömmelei hielt.
    „Der Reverend freut sich bestimmt, wenn Du mitkommst.“
    Das war natürlich geeignet, mich zu motivieren. Verdammter Pfaffe. Nun verpfuschte er mir auch noch das Wochenende. Aber ich konnte Annabell nach dem gestrigen Abend unmöglich allein mit dem Fahrrad zur Kirche fahren lassen. Nicht heute.
    „Besuchst Du jeden Sonntag den Gottesdienst?“
    Ich musste herausfinden, wie stark sie infiziert war.
    „Fast jeden. Früher sind wir immer zu dritt gegangen. Oma, Onkel Charlton und ich. Danach haben wir bei uns Tee getrunken und Kuchen gegessen und meist gab es auch noch etwas Leckeres am späten Nachmittag. Der Reverend ist auch mitgekommen. Es war immer ganz lustig.“
    Es fiel mir schwer, mir den lustigen Teil daran vorzustellen. Wenn ich Annabell nicht zusammen mit ihren Freundinnen erlebt hätte, hätte ich sie für äußerst eigenartig gehalten. So wunderte ich mich lediglich, wie sie es mit den drei Scheintoten ausgehalten hatte.
    „Das glaub ich gern“, log ich.
    „Und kommst Du mit?“ Sie sah mich mit einem Hundeblick an. „Bitte!“
    „Also gut, ich komme mit.“
    „Das freut mich.“
    Es schien ihr tatsächlich etwas zu bedeuten, denn ihre Freude war unverkennbar und die Freude steckte an. Vielleicht war das die Stunde in der Kirche wert.
    „Aber ich habe keinen passenden Anzug dabei. Nur mein Jackett“, gab ich zu bedenken. Vielleicht doch noch ein Ausweg?
    „Ich glaube, Gott ist es egal, wie Du zu ihm kommst. Er freut sich, dass Du kommst“, stellte sie mit voller Überzeugung fest. Es klang nicht vorwurfsvoll oder belehrend, sondern sollte nur meine Bedenken zerstreuen. Sie war tatsächlich stark infiziert von dem frommen Unsinn.
    Der Kirchgang begann so, wie ich es befürchtet hatte. Viele Leute kannten Annabell und kamen auf sie zu, um sie zu begrüßen und mich neugierig in Augenschein zu nehmen. Sie stellte mich überall als Ihren Bruder aus Boston vor und die meisten Leute gaben sich mit dieser Auskunft zufrieden. Einige konnten Ihre Neugier nicht im Zaum halten und überfielen

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