Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
mich teils verhalten, teils überschwänglich begrüßten und der eine oder andere Partner, der meinen Gruß abwartete oder mich schlicht ignorierte.
Die meisten unserer Anwälte waren bissige Hunde. Unter der Peitsche ihres Herrn konnten sie enorm nützlich sein. Sie folgten unterwürfig seinen Befehlen, arbeiteten zusammen und warteten duldsam auf ihr Futter. Doch diese Ordnung konnte nicht darüber hinweg täuschen, dass es Bestien waren, die nur darauf warteten, einander im Streit um den dicksten Brocken zu zerfleischen, sobald ihr Herr es zuließ.
Die überschwänglichen Kollegen waren es, vor denen ich mich am meisten in acht nahm. Sie klopften mir zwar scheinbar freundschaftlich auf die Schulter, doch ich war mir sicher, dass sie währenddessen mit der anderen Hand das Messer wetzten. Warum war ich sicher? Ganz einfach: Ich machte es nicht anders.
Als ich das Vorzimmer betrat, das sich Harriet, meine Sekretärin, mit Margery, der Sekretärin von Jack Davis teilte, hielt sich Harriet nicht mit einer Begrüßung auf:
„Er will Sie sehen, und zwar sofort.“
„In Ordnung. Ich bin schon bei ihm. Wie ist seine Verfassung?“
„Katastrophal, was denken Sie denn?“
Bei Westbury, Hawthorne & Clarke war jeder Associate einem bestimmten Partner zugeordnet, dessen Fälle er bearbeitete. Der jeweilige Partner förderte ihn und ließ ihn an seiner reichhaltigen praktischen Erfahrung teilhaben. So zumindest die Theorie. Die Praxis sah mitunter anders aus. Auch Jack Davis, mein Partner, hatte seine Vorzüge und Schwächen.
Jack war ein Phänomen. Nach einer Schullaufbahn in Exeter hatte er in Yale studiert und als Bester seines Jahrgangs abgeschlossen. Danach hatte er eine Zeit lang bei einer großen, internationalen Anwaltsgesellschaft in New York gearbeitet, bis ihn der inzwischen verstorbene Mr. Westbury nach Boston geholt hatte. Sein Fachgebiet war die steuergünstige Ausrichtung bzw. Restrukturierung international operierender Unternehmen. Er war Herausgeber und Mitautor verschiedener Kommentare zum Außen- und Umwandlungssteuerrecht und Autor unzähliger Veröffentlichungen in amerikanischen und internationalen Fachzeitschriften. Von Hawthorne wurde Jack sehr geschätzt. Sein Jahresverdienst lag schon seit Langem im siebenstelligen Bereich. In den letzten Monaten jedoch schien ihm die Arbeit schwerer zu fallen als früher. Oft war er unkonzentriert und wirkte erschöpft. Vor allem eines stellte für Jack in zunehmendem Maße eine Herausforderung dar, die er kaum länger anzunehmen bereit war: der persönliche Umgang mit Menschen.
Als ich eintrat, sah Jack auf: „Ethan, kommen Sie rein.“
Er saß hinter seinem großen Schreibtisch mit gläserner Platte. Seine Hemdsärmel und sein Kragen waren aufgeknöpft. Sein Jackett, das er augenscheinlich auf einen Besucherstuhl geworfen hatte, war zu Boden gefallen.
„Guten Morgen, Jack! Alles in Ordnung?“
Ich hob das Jackett auf.
„Wir werden es den Bastarden heute zeigen, oder?“, fragte Jack.
Ein leiser Zweifel zitterte in den Äderchen, die aus seinen Augäpfeln hervortraten und jeden Augenblick zu platzen drohten. Obwohl er die Temperatur auf unter zwanzig Grad eingestellt haben musste, standen Schweißperlen auf Jacks vom Bluthochdruck rötlich gefärbtem Gesicht. Jack war Anfang fünfzig und sein Bauchansatz verriet, dass er gutem Essen im Gegensatz zu körperlicher Ertüchtigung nicht abgeneigt war.
Ich mochte ihn. Er war es gewesen, der meine Arbeiten, die ich während des Studiums für die Kanzlei erstellt hatte, gelesen, mein Potenzial erkannt und Hawthorne auf mich angesetzt hatte. Er hatte mich bei Westbury Hawthorne & Clarke von Anfang an unterstützt, war mein Mentor und fast so etwas wie ein Vater für mich. Meinen leiblichen Vater hatte ich schon früh verloren.
„Wir werden DeVere schon überzeugen.“ Ich bemühte mich, Jack aufzubauen, obwohl ich selbst nicht so sicher war, wie ich vorgab. „Wir haben Wochen damit zugebracht, das Konzept mit den Leuten in Dublin, Frankfurt und Prag auszuarbeiten. Es wurde von John Prescott, Alan Harding und Jim Sullivan überprüft. Sie selbst haben es mehrfach überprüft, Jack. Es hat keinen Haken.“
„Es ist gute Arbeit, Ethan“, antwortete Jack und tupfte sich mit dem seidenen Taschentuch, das eigentlich die Brusttasche seines Jacketts zieren sollte, die Stirn. „Aber Sie wissen so gut wie ich, dass es darauf allein nicht ankommt. DeVere mag eine rudimentäre Vorstellung davon haben, wie man
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