Annas Erbe
als das Mädchen da war, holte sie auch den Jungen zu sich. Da war der drei oder so. Als wir offiziell Schluss machten, war sie zum dritten Mal schwanger. Sie sagte, ich sollte mir keine Sorgen machen, sie käme schon zurecht. Zuerst war ich froh darüber. Später hab' ich mir Gedanken gemacht. Da hast du einen Sohn und kümmerst dich nicht, hast keinen Einfluss, ob aus dem was Anständiges wird oder so. Ich hab' die Anna oft besucht, als der Kleine da war. Ich hab ihn gewickelt und ihm Geschichten erzählt, auch wenn er noch nichts verstanden hat. Und wenn die Anna gewollt hätte, wär' wieder was geworden mit uns, und dann wär' ich auch eingezogen. Dann würd' die Anna heute noch leben. Aber nein, die Anna hat mich zwar noch manchmal ins Bett mitgenommen, aber mehr war nicht drin.«
»Erinnern Sie sich an Günther Eich?«
»Ja, klar. Mit dem war sie zum Schluss zusammen. Das war dieser Theoretiker, mit dem sie zu den komischen Parteiveranstaltungen ging. Basisgruppe zum Aufbau der Kommunistischen Partei, nannten die sich. Das muss man sich mal vorstellen! Mich wollten sie auch dazukriegen, als Mensch aus der Arbeiterklasse. Ich sagte, sie sollten froh sein, dass sie keinen Kontakt zur Arbeiterklasse hätten. Die hätte ihnen höchstens was auf die Fresse gegeben. Von dem Eich war sie fasziniert, aber mehr wie von einem Lehrer, nicht wie von einem Liebhaber oder so, wenn Sie wissen, was ich meine.« Heinz Pfaff zwinkerte. Er winkte mit der Bierflasche. »Wollen Sie nicht doch eins?«
Eisern bleiben. »Hatten Sie Streit?«
»Die Anna und ich? Ja, oft. Wir waren beide Dickschädel. Drum haben wir zuerst so gut zusammen gepasst und später dann gar nicht mehr. Ich hab' sie einmal gefragt, ob sie nicht rauswollte aus dem Chaotenhaus und wieder mit mir zusammen sein, aber da hat sie allergisch drauf reagiert. Da haben wir so heftig gestritten, dass ich hinterher gedacht hab': Ist vielleicht auch besser so. Danach hab' ich sie nicht mehr gesehen. Zumindest nicht lebend.«
»Und mit Günther Eich?«
»Ob wir gestritten haben? Nein, wir sind uns einfach aus dem Weg gegangen. Er war nicht dumm oder so, aber ich habe ihn nicht leiden können. Als er sie dann aber umgebracht hat, da hätt' ich schon für die Todesstrafe gestimmt, wenn man mich gefragt hätte.«
»Wussten Sie, dass er entlassen wurde?«
»Nein, erst als sie in der Zeitung brachten, dass er tot ist. Aber umgebracht hab' ich ihn nicht, wenn Sie das meinen.«
»Sie sind überzeugt, dass er Anna ermordet hat?«
»Wer sonst? Auch wenn es in dem verrückten Haus damals keiner glaubte, aber er hatte doch diesen Prozess, wo sie es ihm nachgewiesen haben. Von den Hausbesetzern wollte es natürlich keiner glauben, denn so hatten sie ja einen Mörder in ihren eigenen Reihen, und das gibt doch keiner gern zu. Aber wer soll es sonst gewesen sein?«
Thann wäre froh gewesen, darauf eine Antwort zu haben.
»Ihre Kollegen haben es ihm damals nachgewiesen, dem Eich. Und solange es keinen Gegenbeweis gibt, gilt das Urteil von dem Gericht. Das ist der Rechtsstaat, und ich bin froh, dass wir einen haben. Aber was langweile ich Sie. Vom Rechtsstaat verstehen Sie viel mehr als ich.« Pfaff drückte die Zigarette aus und nahm einen Schluck aus der Flasche.
»Wie hießen die Kinder eigentlich?«, wollte Thann wissen.
»Die von der Anna? Also der Ältere, das war der Udo.«
Udo Korfmacher. Thann hatte es geahnt.
»Auf den Namen ist, glaube ich, ihr Mann gekommen. Aber die Namen der anderen beiden waren typisch Anna. Die Kleine nannte sie Eva.«
Treffer: Eva, die Anwaltsgehilfin.
»Eva, das war für Anna die Urmutter der Menschheit, so sagte sie mal. Und den Jüngsten nannte sie Karl. Das war in der Zeit, wo sie an der Uni all diese Theoriekurse hatte. Zuerst verehrte sie die Eva aus der Bibel, dann den Karl Marx aus dem Kapital. Das war immer so bei ihr. Mal so, mal so, aber immer hundert Prozent.«
»Und was wurde aus den Kindern nach Annas Tod?«
»Ich wäre froh, wenn ich das wüsste. Der Kleinste ist immerhin mein Sohn, auch wenn man sich bei den Weibern nie so ganz sicher sein kann.« Wieder zwinkerte Pfaff Thann zu.
»Ich hab oft noch überlegt, was aus den dreien wohl geworden ist. Das Letzte, was ich hörte, war, dass der Geschiedene von Anna die Kinder aufnahm, gleich nach dem Tod von Anna. Soviel ich weiß, war der Polizist oder so. Ich denk' mir, das war das Beste für die Kleinen. Das Hausbesetzermilieu wäre nichts für die Kinder gewesen.«
Pfaff
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