Annas Erbe
auch immer auf dem Laufenden. Wie abgemacht.«
»Natürlich. Da fällt mir noch etwas ein. Wer steckt eigentlich hinter der Wohnungsgesellschaft, der das Haus gehörte, in dem Ihre Mutter wohnte? Wissen Sie das?«
»Nein, keine Ahnung. Aber ich werde mich umhören. Ich kann das recherchieren.«
»Wunderbar. Sie sind ein Schatz, Eva.«
»Von mir aus können wir uns gerne duzen.«
»Gern. Heute Abend trinken wir Bruderschaft. Mit Sekt und Kuss.«
»Ach ja?«
»Küsschen.«
»Mal sehen.«
Er sah ihr spöttisches Lächeln vor sich.
Thann schlug die Zeitung auf. Die Seiten mit den großen Überschriften und den vielen Fotos waren schnell durchgeblättert, die Sensationslust rasch enttäuscht. Die Serie über die angebliche Sexsklavin lief noch immer. Auf Seite 3 gab es das obligatorische Busenmädchen. Ja, auch nacktes Fleisch.
Auf der vorletzten Seite gab es eine Rubrik »Stadtgespräch«. Ein Foto fiel Thann ins Auge. Es zeigte Bollmann auf irgendeiner Feier. Er trug einen Smoking und hielt ein Sektglas in der Hand. Neben ihm strahlte eine Blondine, die zwanzig Jahre jünger schien. Darunter stand:
KRIMINALOBERRAT BOLLMANN LACHT.
Designerklamotten (Armani), Porsche (250 PS) und Ferienhaus (Südfrankreich). Harald Bollmann, 51, kann es sich leisten, seit er mit Nicole, 36, Millionärswitwe, verheiratet ist. Harald im Glück: Nun winkt der Posten als Polizeipräsident. Bumm-Bumm-Bollmann (schwarzer Gürtel, Dienstwaffe immer dabei), der erste Polizeichef, der es niemals nötig hätte, sich bestechen zu lassen. Gratulation! Die Mafiosi zittern!
An ihm führt jetzt kein Weg mehr vorbei. Thanns Magen meldete sich. Die Kiesel hatten scharfe Kanten und bohrten sich in die Magenwand.
32.
»Das Gleiche hat mich vor gut einer Woche schon einmal jemand gefragt.«
Die Heimleiterin war eine zierliche Person mit grauen Haaren, die zu einem Pferdeschwanz gebunden waren.
»Ich konnte mich gleich an Udo erinnern. Er war ein sehr schwieriges Kind, aber auch sehr lieb, auf seine Art. Am Anfang ließ er keinen an sich heran. Er kapselte sich regelrecht ab. Gegenüber den Erziehern genauso wie gegenüber den anderen Kindern. Am Anfang war er unser Problemfall Nummer eins. Er war etwa ein Jahr bei uns. Im Lauf des Jahres veränderte er sich sehr, zu seinem Vorteil.
Mit seinen Pflegeeltern kam er allerdings nicht zurecht. Und so war er nach einem Jahr wieder bei uns. Mit zehn kam er dann in die zweite Familie. Wieder eine neue Mama, ein neuer Papa, neue Geschwister. Dort blieb er, glaub' ich, bis er vierzehn war. Dann kam er in ein Heim für Schwererziehbare. Der Mann, der vor einer Woche nach ihm fragte, sagte mir, Udo sei heute Fotograf. Dann hat er also Tritt gefasst? Das freut mich sehr. Sie sehen, Heimkinder landen keineswegs automatisch auf der Straße oder im Gefängnis.«
Das kann ja noch kommen, dachte Thann. »Und ein Fotoalbum? War so etwas unter seinen persönlichen Dingen?«
»Ja. Komisch, der Mann vor einer Woche fragte auch danach. Ja, er hatte ein Album. Am Anfang war er von seinen Sachen gar nicht zu trennen. Er spielte nie mit anderen, nur mit seinem Spielzeugauto oder seinem Teddy. Oder eben mit diesem Album. Ich war damals noch eine ziemlich unerfahrene Erzieherin und dachte, es wäre besser für ihn, wenn er sich von seiner Vergangenheit lösen könnte. Als ich ihm das Album einmal wegnehmen wollte, fing er an zu schreien und war nicht mehr zu beruhigen. Ich musste es ihm zurückgeben.
Erst später sah ich, dass er viel Spaß am Zeichnen hatte. Indem ich mit ihm und anderen Kindern gemeinsam malte, konnte ich ihn an die Gemeinschaft gewöhnen. Er zeichnete besser als die meisten anderen in seinem Alter. Und er hatte Spaß daran und taute auf. Es war ein großer Erfolg für mich.«
»Was war das für ein Spielzeugauto?«
»So grün-weiß mit Blaulicht. Ein Polizeiauto.«
»Erinnern Sie sich, ob er Besuch bekam? Vielleicht von einem Polizisten?«
»Er bekam sehr selten Besuch. Eigentlich nur von seinem Onkel. Ob das ein Polizist war, weiß ich nicht. Uniform trug er jedenfalls keine.«
Anna Korfmacher hatte keinen Bruder gehabt. Soviel wusste Thann aus seinen Unterlagen. Onkel – der Bruder des Vaters? Der Vater selbst?
»Können Sie ihn beschreiben?«
»Oh nein, das ist wirklich zu lange her. Groß war er. Kräftig. Ach, und einen Vollbart trug er. Blond. Nein, braun. Nein, doch blond. Ach, ich weiß es nicht mehr. Tut mir leid.«
Thann zeigte ihr die Zeichnung des
Weitere Kostenlose Bücher