Annas Erbe
reden Sie jetzt.«
»Vor morgen Abend um sechs weiß ich es nicht. Bis dann lassen Sie mir bitte freie Hand.«
»Na gut. Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun. Machen Sie keine Dummheiten, Thann.«
Telefonate. Zuerst gab Thann die Nummern der Fahrzeuge durch, die er am Sonntagabend im Hof der Danziger Straße 70 aufgeschrieben hatte. In einer Stunde würde er die Namen haben. Dann fragte er nach, ob am frühen Nachmittag des Mittwochs vergangener Woche ein Streifenwagen in die Gegend Goethestraße gerufen worden war. Hier erhielt er die Antwort sofort: Nein.
Er spannte ein Papier in die Olympia. Ein Bericht für seine eigene Akte zum Fall Eich. Nach der ersten Zeile streikte das Gerät. Er wählte die Nummer der Verwaltung.
»Kann ich bei Ihnen Tipp-Ex bekommen? Und ein neues Farbband?«
»Ja, natürlich. Dafür sind wir doch da. Nächstes Jahr wieder.«
»Was?«
»Sie wissen doch: Materialausgabe nur am Montagnachmittag. Heiligabend und Silvester fallen aus. Also erst wieder am siebten Januar.«
»Das darf doch nicht wahr sein!«
»Doch. Wärense gestern gekommen!«
»Da hatte ich keine Zeit.«
»Und wir haben jetzt keine Zeit.«
»Ich brauche die Sachen aber jetzt! Ich habe zu arbeiten!«
»Tun Sie nicht so, als würde die Verwaltung nicht arbeiten.«
»Bitte, nur Tipp-Ex und ein ganz normales Farbband für meine Olympia.«
»Geht nicht. Wo kämen wir hin, wenn jeder sein Tipp-Ex holen würde, wann es ihm einfällt!«
»Bitte! Ich komme rasch vorbei, ganz unbürokratisch. In fünf Minuten bin ich bei Ihnen.«
»Dann sind wir in Mittagspause.«
»SIE BLÖDES ARSCHLOCH! SIE VERDAMMTER SESSELFURZER!«
»Wie war Ihr Name? Das gibt eine Disziplinarbeschwerde!«
Thann schlug den Hörer auf die Gabel.
Miller saß am hintersten Tisch der kleinen Trattoria unweit des Präsidiums. Thann hatte gehofft, ihn hier anzutreffen, um ihn über die Fortschritte der Kollegen im Mordfall Deponie aushorchen zu können. Er setzte sich zu ihm und bestellte eine Lasagne. Es war ein kleines, billiges Lokal. Hier gab es Stuck und Toscana-Poster. Die Bedienung hantierte mit großer Hektik zwischen Tischen und Tresen. Es war laut, und in der Luft hingen Schwaden von Zigarettenqualm.
Der junge Kommissar plauderte gern. Fendrich leitete jetzt den Fall, aber sie sahen ihn nur einmal am Tag zur Morgenbesprechung. Sie hatten begonnen, die ehemaligen Knastgenossen Eichs unter die Lupe zu nehmen. Eine Arbeit, die ebenso aufwendig war wie die Überprüfung der Mülltonnen. Aber sie waren froh, nicht mehr im Müll schnüffeln zu müssen.
In dem Maß, wie der Fall aus den Zeitungsseiten verschwand, nahm auch der Druck auf die Ermittler ab. Noch immer gab es nicht einmal die Andeutung eines Mordmotivs. Schneider und Dalla hatten Thann angelogen.
Seit Thann nicht mehr die Ermittlungen leitete, war keine einzige Überstunde mehr angefallen. Eine ruhige Kugel schieben – das war für die meisten Kollegen die angenehmste Begleiterscheinung.
Miller ließ durchblicken, dass er Fendrich nicht mochte und den schleppenden Gang der Ermittlungen missbilligte.
Thann war in Sorge, Bollmann könnte von seinem Alleingang erfahren. Vorsichtig sondierte er: »Habt Ihr mal seine Freunde von früher befragt? Aus der Zeit, bevor er in den Knast ging?«
»Nein. Fendrich sagt, das bringt nichts. Nach so vielen Jahren kennt den keiner mehr.«
»Was ist mit dem Wohnungseinbruch?«
»Ist aufgeklärt, soviel ich weiß. Ein Drogensüchtiger. Schneider und Dalla schnappten ihn, als er Eichs Stereoanlage an den Mann bringen wollte.«
»Hm. Wisst Ihr, wie Eich seine letzten Tage verbrachte?«
»Ich glaube, da sind Schneider und Dalla dran, das zu rekonstruieren. Aber soviel ich weiß, tappen die auch im Dunkeln. Vielleicht war es tatsächlich ein Wahnsinniger, dem dieser Eich zufällig übern Weg lief, so wie es in der Zeitung stand. Was meinst du?«
»Vielleicht«, sagte Thann und bezahlte sein Essen. Er scheute davor zurück, Miller ins Vertrauen zu ziehen. Als er das Lokal verließ, atmete erst einmal kräftig durch. Sein Magen brannte etwas, nicht weiter schlimm. Die Wolkendecke hatte sich verdichtet. Es sah wieder einmal nach Regen aus.
Zurück in seinem Büro klemmte Thann den Hörer zwischen Schulter und Ohr und notierte Namen und Adressen der Halter, deren Autos vorgestern bei Foto Korfmacher geparkt hatten.
Treffer – einer der Namen war ihm nur allzu bekannt: Bodo Schneider, Kriminaloberkommissar. Dass sich viele Polizeibeamte
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