Annas Erbe
nur mit einer Nebenbeschäftigung über Wasser halten konnten, wusste Thann. Dass es Schneider zum Film gezogen hatte, fand er hochinteressant.
34.
Es war genau zwei Uhr, als Thann die Dresdner Straße 70 erreichte.
Er sah weder Korfmachers Auto noch Licht in dessen Wohnung oder Studio. Mit einem Dietrich öffnete er die Haustür, mit einer Metallnadel Korfmachers Wohnungstür. Er hoffte, das Album zu finden. Wenn Korfmacher es zurückgestohlen hatte, musste es hier sein. Thann war nervös. Jeden Moment konnte der Fotograf nach Hause kommen. Als Freiberufler hatte er wahrscheinlich keine festen Arbeitszeiten.
Es war eine Dreizimmerwohnung mit Küche und Bad. Als Erstes nahm sich Thann das Büro vor. An drei Wänden standen Regale bis zur Decke. Diakästen, Bildbände, Zeitschriften, Aktenordner, Karteikästen, Schubladen mit Unmengen von Fotos und Negativfilmen. Thann rief sich zur Ruhe und begann, systematisch vorzugehen. Er gab sich Mühe, nichts zu verändern, als er den Schreibtisch durchsuchte und in den Regalen nach versteckten Winkeln forschte. Er kroch unter den Tisch und stieg auf Stühle. Er bewegte die halbe Einrichtung und brachte alles wieder an seinen Platz, vom Leuchtkasten bis zum Brieföffner. Nichts. Kein Album.
Zwei Uhr dreißig.
Thann durchsuchte Wohnzimmer und Schlafzimmer, Küche und Bad, ohne zu finden, was er suchte. In keinem Schrank hatte es einen Safe gegeben. Gerade, als Thann begann, Bilder abzuhängen und Poster abzutasten, klingelte es. Sein Herz begann, wild zu pochen.
Es war das Telefon im Arbeitszimmer. Thann beruhigte sich und betrat das Büro. Nach dem dritten Klingeln begann der Anrufbeantworter zu klicken. Mit einem leisen Rauschen drehten sich die Spulen der Kassette. Dann hörte Thann die unbekannte Stimme des Anrufers.
»Hallo, Korfmacher, Auftrag vom Boss. Am Freitag steigt 'ne Party, 'ne richtig große Party. Das Jahr war erfolgreich. Es gibt vieles zu feiern. Ort ist wieder das ›Belle‹. Du sollst diesmal die Mädels besorgen. Der Boss will junges Blut, keine Profinutten. Es ist 'ne dicke Provision drin für dich. Ruf zurück, sobald du kannst.«
Es klickte, die Spulen liefen zurück. Klick, klick – Stille. Ein Lämpchen blinkte. Thann besaß keinen solchen Apparat. Es lohnte sich für ihn nicht. Es gab zu wenige, die ihn zu Hause anriefen.
Zehn Minuten vor drei.
Thann setzte die Suche im Wohnzimmer fort und wurde hinter einem gerahmten Poster fündig. Mithilfe seines Werkzeugs hatte er den Safe rasch geknackt. Wieder Fehlanzeige. Statt eines Fotoalbums lagen in dem kleinen Stahlkasten nur ein Bündel Geldscheine, ein Karton mit Fotos und ein kleines, abgegriffenes Notizbuch.
Es war eine Fotosammlung der besonderen Art. Die Abzüge steckten in Klarsichthüllen und waren auf der Rückseite jeweils mit Namen, Datum und Nummer versehen. Auf der Vorderseite übten sich Damen und Herren in verschiedenen Varianten des Geschlechtsverkehrs, ja, auch nacktes Fleisch. Es waren etwa sechzig Fotos. Auf vier davon war Eva zu sehen.
Das Notizbuch hatte für jede Seite eine Nummer. Daneben standen die Namen der Filme und der Darsteller. Darunter gab es jedes Mal eine Liste mit Jahreszahlen und Monatsangaben und Geldbeträgen. Er presst aus allem Geld, wo auch nur ein Pfennig drinsteckt. Penible Buchführung. Die Summen lagen zwischen 500 und 5000 Mark und flossen teils monatlich, teils vierteljährlich. Die einen bezahlten seit mehreren Jahren, andere hatten nur wenige Male bezahlt. Thann überschlug, dass Korfmacher in den letzten sieben Jahren insgesamt 24 Personen in der Mangel hatte und auf diese Weise jährlich auf ein unversteuertes Nebeneinkommen von etwa 100 000 Mark gekommen sein musste. Mit steigender Tendenz.
Eva war die Nummer acht. Die Filme hießen Hot Shots III, Geil und ohne Hemmungen sowie Sünde am Nachmittag, produziert in den Jahren 1988 und 1989. Die Erpressung hatte vor drei Jahren begonnen. Udo hatte von seiner Schwester zunächst monatlich 500 Mark erhalten, im Vergleich zu anderen Opfern kaum der Rede wert. Doch nach vier Monaten war die Summe in die Höhe geschnellt, auf 1500 Mark, Monat für Monat. Thann fragte sich, wie Eva so viel von ihrem Gehalt als Anwaltsgehilfin abzweigen konnte. Die letzte Eintragung war vom November dieses Jahres.
Thann blätterte weiter. Die anderen Namen sagten ihm nichts. Er legte Buch und Fotos zurück. Nur die vier Bilder mit Eva steckte er ein.
Ein Blick auf die Uhr: Fünf Minuten nach drei.
Thann
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