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Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben

Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben

Titel: Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Boo
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immer wieder vor sich hin: »Die Themen sind Liebesaffären, die gesellschaftliche Stellung und Geld.« Hunderte von Kakerlaken stoben auseinander. Manju stieg über den auf dem Fußboden eingeschlafenen Rahul, brachte Essensreste nach draußen und warf sie in den Klärteich, den die heiße Jahreszeit zu einer dicken Matte aus Wasserhyazinthengestrüpp verzaubert hatte.
    »Mirabell will gesellschaftlich aufsteigen durch die Heirat mit der schönen Millamant.«
    Beim Auswendiglernen versetzte Manju sich oft in die Heldin hinein, aber diese Millamant ließ sie völlig kalt – was die immer zu jammern hatte, die war doch reich und unabhängig genug, die konnte doch ihre Hochzeit selbst aushandeln. Manju wollte nach dem College Lehrerin werden und hatte eine Riesenangst, dass ihre Mutter sie aus einer plötzlichen miesen Laune heraus mit irgendeinem Dorfjüngling verheiratete, nach dessen Ansicht eine Frau nicht arbeiten gehen sollte. Dass sie den Rest ihres Lebens mit dem verbringen würde, was sie gerade tat: den Dreck, der von draußen reingeweht war, rausfegen, aufwischen und wieder rausfegen, was neu reinwehte, während sie wischte.
    »In Congreves Theaterstück ist Geld wichtiger als Liebe.«
    So sah das ganz klar auch ihre Mutter. Manjus kleiner Bruder Ganesh war vor der Hütte mit einem kleinen Lebensmittelhandel zugange, Ashas jüngstem Geschäftsmodell, das nicht funktionierte. Asha hatte sich eins der staatlichen Darlehen, mit denen Mr. Kamble so gern seine Herzklappe finanziert hätte, als Startbeihilfe verschafft. Und eigentlich hatte sie ihren Mann als Ladenbetreiber vorgesehen, aber der hatte die Finanzspritze dazu benutzt, sich zu betrinken. Momentan lag er bewusstlos zwischen Ganeshs Füßen.
    Manju fand Geld nicht besonders interessant. Sie gierte nach Tugend, eine Begierde, die zur Hälfte aus Angst bestand. Manchmal, beim Lernen, betastete sie die Narbe im Nacken, von dem Abend vor Jahren, als sie ihrer Mutter Geld für Schokolade gestohlen hatte. Asha hatte zur Axt gegriffen. Aber Manjus Begierde, ein guter Mensch zu sein, war auch eine Form von Rebellion, eine Art Züchtigung dieser Mutter, die angeblich nur durch unanständiges Benehmen an den Fernseher und andere Annehmlichkeiten gekommen war.
    Manjus Methode, ihre eigene Anständigkeit zu demonstrieren, war der Unterricht, den sie jeden Nachmittag in ihrer Hütte gab. Die Schule wurde, auf dem Umweg über einen katholischen Wohltätigkeitsverein, staatlich gefördert, und offiziell war Asha die Lehrerin. Aber weil sie so mit der Shiv Sena beschäftigt war, unterrichtete Manju, seit der siebten Klasse, und legte dabei ein Engagement an den Tag, das ihrer Mutter gar nicht gefiel. Was Asha gefiel, war der kleine Zuschuss zur Haushaltskasse, aber ihrer Meinung nach hätte es völlig gereicht, wenn Manju an den paar Tagen Unterricht gab, an denen die Schulaufsicht nach dem Rechten sehen kam, so machten das schließlich andere Hüttenlehrer auch.
    Die indische Regierung bezeichnete solche Schulen als »Brückenschulen«. Sie sollten Kinderarbeitern oder Mädchen, die wegen Haushaltspflichten nicht weit weg durften, mit zwei Stunden Unterricht täglich versorgen, damit sie sich überhaupt an formale Bildung gewöhnten und lernten, sich dafür zu begeistern. Die Begeisterung der Kinder war leicht zu wecken. Jeder Slumbewohner kannte die drei Hauptauswege aus der Armut: eine Geschäftsnische, wie die Husains sie mit ihrem Müll gefunden hatten, Politik und Korruption, auf die Asha ihre Hoffnungen setzte, und eben Bildung. In Annawadi lebten ein paar Dutzend Familien nur von Roti und Salz, um die Privatschulgebühren für ihre Kinder aufbringen zu können.
    In den letzten fünf Jahren hatten um den Flughafen herum mehr als hundert Schulen aufgemacht – manche waren ausgezeichnet und teuer, manche reiner Betrug, manche wurden von unausgebildeten Teenagern wie Manju geleitet. Aber alle hatten einen besseren Ruf als kostenlose Gemeindeschulen wie die von Marol, in der Asha jobbte. Fast sechzig Prozent der Lehrer an solchen öffentlichen Schulen hatten keinen Collegeabschluss, und viele hatten unter der Hand den Mitarbeitern des Schulamts große Summen gezahlt, um an eine Festanstellung zu kommen. Und der Herr Bezirksrat gehörte zu den Lokalpolitikern, die grottenschlechte Schulen lieber zu Geld machten, als sie zu reformieren. Er hatte über einen Strohmann seine eigene Privatschule gegründet.
    »Also, erst spielen wir, dann haben wir eine Freistunde,

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