Anne - 02 - Anne - 02 - Anne und Jess, der Weg ins Glück
wohlbekannte, singende Ruf: „Anne!“ Anne sprang aus dem Bett und torkelte im Schlafanzug durch das Zimmer.
„Es ist Britt, mein Kind. Sie will dich sicher auf einen Ausflug mitnehmen bei dem schönen Wetter. Fahr nur raus, ich laß mir die Lore kommen!“
Es war Britt. Sie war fast nicht wiederzuerkennen. Ihre Stimme klang rauh.
„Kannst du mit mir rausfahren, Anne?“
„Ja - doch, gern, selbstredend - aber Britt, du telefonierst so früh, du störst doch Großmama, wieso.“
„Ich weiß ja, daß sie früh wach wird. Ich konnte nicht länger warten, Anne. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan. Ich muß dich sprechen. Kann ich dich gleich abholen, Anne?“
„In einer Stunde, Britt. Ich bin noch gar nicht auf, und ich will Großmama jedenfalls den Kaffee machen.“
„Gut, gut. Aber in einer Stunde sicher, Anne?“ In der Stimme lag eine ungeduldige Bitte.
„Ganz sicher, Britt.“ Dann wurde der Hörer aufgelegt.
„Armes Brittchen“, sagte Großmama. Sie wußte, daß Britts Eltern in Scheidung lagen.
„Ja“, sagte Anne. „Sie tut mir so schrecklich leid. Und dabei -dabei bin ich im Grunde gar nicht dazu geeignet, sie zu trösten. Ich hab ja so was nie erlebt - und ich weiß nicht, was ich ihr zum Trost sagen soll.“ Großmama überlegte.
„Ich bin auch nicht gerade die Rechte. Für mich gab es nur einen Mann im Leben, und den habe ich über alles in der Welt geliebt. Aber weißt du, woran ich denke, Anne? Gesetzt den Fall, ich wäre verheiratet gewesen, als ich meinen Martin kennen lernte. Gesetzt den Fall, ich hätte sogar schon Kinder gehabt. Und ich hätte dann Martin ebenso Heb gewonnen, wie es eben der Fall war! Ich war jung und nicht gebunden, und er ebenfalls, das war unser Glück. Ich habe oft daran denken müssen: Ob ich die Kraft gehabt hätte zu widerstehen? Es wäre jedenfalls ein fürchterlicher Kampf geworden. Und wenn ich dann in dem Kampf unterlegen wäre? Wenn die Liebe zu Martin nun über die Pflicht gesiegt hätte, ja sogar über die Mutterliebe?“
„Du meinst, daß Britts Mutter es so sehen muß?“
„Möglich. Sehr wahrscheinlich sogar. Nicht daß ich es grundsätzlich verteidigen will, Anne. Glaub das ja nicht. Aber man soll nie über etwas urteilen, was man nicht ganz versteht. Und man darf auch nie vergessen, daß Menschen, die in einen solchen Zwiespalt kommen, es schrecklich schwer haben. Denk an dich selber. Du hast Jess lieb. Glaubst du, daß irgendein Gefühl der Pflicht dich dazu bringen könnte, auf Jess zu verzichten?“
„Nicht irgend ein Gefühl der Pflicht, Großmama. Aber wenn ich ein Kind hätte, dann würde ich doch hoffentlich - dann sollte ich wohl meinen - “ Anne stockte und dachte nach.
„Ich weiß nicht, Großmama“, sagte sie zuletzt leise. „So was weiß man nicht, bevor man es selbst erlebt hat.“
„Siehst du“, sagte die Großmama. „Das ist der Kern der Sache. Man kann nie über etwas urteilen, ehe man es nicht selbst erlebt hat.“ Anne erhob sich.
„Das ist wahr. Aber ob man es nun versteht oder nicht, auf jeden Fall ist es für Britt schrecklich traurig.“
„Das ist es wahrhaftig. Mach jetzt schnell die Tasse Kaffee, Anne, damit Britt nicht länger zu warten braucht, als nötig.“
„Warum bist du nicht raufgekommen, Britt?“ fragte Anne. Britt hatte unten im Auto gewartet.
„Konnte nicht. Mir war nicht danach.“ Sie fuhr mit einem Ruck an. Ihr Gesicht war durchsichtig blaß, die Augen groß und brennend.
Sie fuhr schnell. Schneller als sonst.
„Sieh dich vor, Britt!“ Britt hatte plötzlich vor einem Auto, das von rechts einbiegen wollte, bremsen müssen.
„Ja doch. Ich sehe mich schon vor. Ich habe ja gebremst. Bloß keine Bange.“
Dann widmete sie ihre ganze Aufmerksamkeit dem Fahren. Sie sagte kein Wort mehr, bis sie die Stadt hinter sich und die morgenöde Landstraße vor sich hatten.
Sie starrte geradeaus vor sich, die Augen klebten an der Fahrstraße.
„Vater heiratet.“
„Britt!!“
„Ja. Das war’s.“ Anne faßte vorsichtig Britts Hand, die auf dem Steuer lag. „Kannst du nicht mal anhalten, Britt?“
„Nein, fahren ist besser. Sonst heule ich nur.“
„Ja, und wenn schon? Vielleicht hilft das ein bißchen.“
„Ich hab genug geflennt.“ Das kleine Auto fraß die Kilometer. „Wohin fahren wir eigentlich, Britt?“
„Weiß ich nicht. So weit weg wie möglich. Wenn ich nur das ganze Durcheinander hinter mir lassen könnte.“ Anne wartete ein Weilchen, ehe sie weiter
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